Zwischen Fürsorge und Anmaßung – unser Blick auf Israel
Israel ist ein heißes Eisen in den deutschen Debatten. Doch was geht uns Deutsche Israel eigentlich an? Sagt unsere Haltung nicht mehr über uns selbst aus, als über Israel?
Als ich das Buch anfing, ließ ich auf meinen Social-Media-Kanälen aus Neugier die (natürlich keineswegs repräsentative) Umfrage „Israel – was geht’s uns an?“ mit den zugegeben etwas polarisierenden Antwortmöglichkeiten „Eine ganze Menge“ und „Rein gar nichts“ laufen. Das Ergebnis war keine große Überraschung: 97% der Teilnehmenden entschieden sich intuitiv für „Eine ganze Menge“ und auch ich selbst hätte so geantwortet. Unsere historische Verantwortung nach dem Holocaust lässt nur diese Antwort zu und das ist gut so.
Doch das vermeintlich gut gemeinte Interesse an Israel geht weit über diese Verantwortung hinaus. Zu gerne wird der moralische Zeigefinger erhoben, wenn die israelische Regierung Dinge tut, die wir für falsch halten. Von Israel wird absolute und vor allem moralische Fehlerfreiheit ebenso verlangt, wie von allen Jüdinnen und Juden, selbst von denen die fernab von Israel leben, eine Rechtfertigung, mindestens jedoch eine klare Haltung zum (vermeintlichen) Fehlverhalten „ihres“ Landes erwartet wird.
Wie kommen wir dazu, uns ausgerechnet in Bezug auf Israel so übergriffig zu verhalten und wie weit geht uns Israel im Gegensatz zu anderen Ländern überhaupt wirklich etwas an?
Heterogenität mit gemeinsamem Nenner
Im ersten und größten Teil dieser Anthologie erzählen Menschen, deren Leben auf verschiedenste Weise mit Israel verbunden ist oder auch nur zu sein scheint, ihre Geschichte. Dieser Abschnitt gibt den Leser•innen die Gelegenheit, sich in die unterschiedlichsten Blickwinkel hineinzuversetzen, denn die individuellen Erfahrungen und Schilderungen der Einzelnen lassen sich dank den persönlichen Schreib- und Erzählstilen der Autor•innen gut nachempfinden.
Viele von Ihnen sind hin- und hergerissen zwischen Israel und dem deutschsprachigen Raum, sind beispielsweise hier geboren und lernten Israel erst später kennen wie Mirna Funk oder wurden wie Harry Bergmann im wenige Jahre alten Israel geboren, um dann als Kleinkind nach Wien auszuwandern zu müssen.
Aufschlussreich sind die Erzählungen des Korrespondenten Ben Segenreich. Er fragt sich selbst immer wieder, was uns Israel eigentlich angeht, dass so viel für die Berichterstattungen aufgewendet wird und gibt einen interessanten Einblick in die Medienlandschaft ohne einen Hehl daraus zu machen, wie sehr auch er beruflich von der Über-aufmerksamkeit auf Israel profitiert hat.
Ahmad Mansour ist palästinensischer Israeli und als solcher aufgewachsen mit selbstverständlichem Antisemitismus, doch auch er selbst und seine Familie leben mit der ständigen Angst, jeder Zeit Opfer von Bomben oder Attentaten werden zu können. Robert Schindel sah Aufgrund seines von sowjetischen, kommunistischen und anti-amerikanischen Ansichten geprägten Umfeldes Israel selbst eher kritisch, bis er später schließlich die Notwendigkeit dieses Staates begreifen konnte, während der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky bisweilen sogar genervt ist davon, dass von ihm ständig ein Kommentar oder eine Meinung zu Israel erwartet wird, weil er Jude ist. Diese Vielfalt an Perspektiven zieht sich durch den gesamten Abschnitt des Buches und doch sind sich alle trotz der teilweise großen Unterschiede einig, wenn es um die Wichtigkeit der Existenz Israels geht.
Der Abschnitt „Geschichte“ geht detailliert auf die Entstehung Israels ein und beginnt damit nicht erst nach 1945, sondern bereits deutlich früher. Besonders hervorzuheben sind hier meiner Meinung nach die Ausführungen zur Entstehung des Antisemitismus, die hier ausführlich beleuchtet und analysiert wird, wozu Peter Huemer unter anderem auch Jean-Paul Sartres „Überlegungen zur Judenfrage“ heranzieht und unter anderem dessen bekannten Satz „Wenn es keinen Juden gäbe, der Antisemit würde ihn erfinden.“ zitiert. Joshua Sobol liefert einen umfangreichen Überblick über den Konflikt, der schon viel früher begann, als unser exzessives Interesse daran und Christian Ultsch gibt in seinem Text Aufschluss über das Verhältnis von Österreich zu Israel, welches sich erstaunlicherweise (auch durch den in Österreich lange aufrecht erhaltenen Opfermythos) signifikant vom deutschen Standpunkt unterscheidet.
Im letzten Teil erläutert Jaron Engelmayer den Leser•innen ausführlich die religiöse Bedeutung des Landes Israel für die jüdische Bevölkerung und für alle Juden weltweit, indem er die entscheidenden Stellen der Tora zitiert, deren Aufbau erklärt und sozusagen in irdischen Kontext setzt.
Die Gelegenheit, einmal zuzuhören
Auch wenn die Texte so divers sind wie die Bevölkerung des Landes Israels selbst, eines haben sie alle gemeinsam: Sie eröffnen einem Einblicke und Blickwinkel, die viele auf diese Weise vermutlich noch nie bedacht haben, wenn sie versucht haben, sich eine Meinung zum Thema Israel zu bilden. Denn ja, man hat immer das Gefühl, man müsse eine Meinung dazu haben, schließlich haben ja alle eine.
Zu unserer historischen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk kommt nämlich die auch im Buch thematisierte mediale Über-aufmerksamkeit. Seit ich denken kann, läuft eine intensive Berichterstattung über den „Nahost-Konflikt“ selbst im bayerischen Radio und so kamen auch viele meiner eigenen, über die Jahre entwickelten Annahmen über Israel, die dort lebenden Menschen und die herrschenden Konflikte nur von Erzählungen, Berichten und Belehrungen jener, die zumindest glaubten, eine fundierte Meinung zu haben, jedoch nie von einem Israeli selbst.
Noch während ich das Buch las, befassten die Medien sich mit den Auseinandersetzungen um den Fischhandel zwischen Israel und palästinensischen Fischern, zu Wort kam hier vor Ort ein betroffener Fischer aus Gaza und wieder einmal war ich erstaunt darüber, welch großer Aufwand hier seitens der Medien betrieben wird um über dieses vergleichsweise „kleine“ Problem so umfangreich zu berichten. Genau jene Einseitigkeit war es schon immer, die mich persönlich nicht aufhören ließ, diese immer wieder zu hinterfragen, nach Antworten zu suchen. Wer nun jedoch hofft, in diesem Buch eben diese Antworten auf all die neugierigen Fragen über Israel und all die Konflikte zu finden, der wird enttäuscht werden, denn wie es Herausgeber Stefan Kaltenbrunner im Vorwort treffend beschreibt, ist es wie ein kompliziertes Puzzle: „Die Ränder sind schnell zusammengesetzt, aber je weiter man ins Innere vorstößt, desto schwieriger wird es, die Teile aneinanderzureihen.“
Diese Sammlung eindrucksvoller Texte leistet etwas viel tiefgründigeres als die Beantwortung oberflächlicher Fragen und wird nicht nur an unserem initialisierten Bild von Israel rütteln, sondern an unserem gesamten Weltbild und es wird uns immer dann, wenn wir uns hinreißen lassen wieder mal aus der Ferne ein Urteil zu fällen, dass die Antwort auf die Frage was uns Israel angeht, tatsächlich lautet: Deutlich weniger, als wir zu glauben scheinen.
Addendum: Wie nebenbei liefern die Autor•innen uns einen Blick in den Spiegel, wenn sie von ihren Erfahrungen im deutschsprachigen Raum berichten, unsere Gewohnheiten, Eigenarten und Unzulänglichkeiten schildern. Ein Fremdbild, welches wir uns viel öfter vor Augen führen, fragen wir uns, ob wir wirklich die sind, für die wir uns halten und welches Bild wir gerne in der Welt hinterlassen möchten.
Mena-Watch war so freundlich, ein Rezensionsexemplar zur Verfügung zu stellen.
Israel. Was geht mich das an?
Erwin Javor, Stefan Kaltenbrunner (Hrsg.)
Thespis GmbH (edition mena-watch), 254 Seiten
25,00 Euro