Zeitreise ins Barcelona der Bürgerkriegszeit
Der Brite Nick Lloyd betreibt ein „Walking Museum" und führt Interessierte durch das Barcelona des Spanischen Bürgerkrieges.

„Hier hat alles gefangen“ sagt Nick Lloyd und deutet auf ein unscheinbares Gebäude im Barceloner Stadtviertel Poble-sec. Anschließend bewegen sich die Finger des Briten Richtung Boden und zeigen auf einen Stolperstein, der aus dem gepflasterten Gehweg der Carrer de Margarit leicht herausragt. Auf dem Messingbelag ist der Name des katalanischen Kommunisten und Fotografen Francesc Boix eingraviert. Er wurde 1920 in dem Gebäude geboren. Heute befindet sich dort eine Bar.
„Es ist die unglaubliche Geschichte dieses jungen Mannes, die mein Interesse am Spanischen Bürgerkrieg geweckt hat“, erzählt Lloyd, der heute sein Geld mit historischen Stadtführungen durch Barcelona verdient. Boix überlebte das KZ Mauthausen, schmuggelte Fotonegative aus dem Lager, und war der einzige Spanier, der bei den Nürnberger Prozessen aussagte. Er starb mit nur 30 Jahren an Nierenversagen, wahrscheinlich eine Folge seiner Haftzeit.
Dass Lloyd auf Boix aufmerksam wurde, war reiner Zufall. Ebenso, dass der Brite seit fast 40 Jahren in Spanien lebt. Denn als er sein Studium der Geografie und Geschichte im Jahr 1987 beendete, wollte er eigentlich die Welt bereisen. Weit kam er jedoch nicht. Ein Jahr später, mit 22 Jahren, ließ sich Lloyd in Zaragoza nieder und verdiente als Englischlehrer sein Geld. „Ich konnte kein Spanisch und auch sonst wusste ich nicht viel“, resümiert der Brite seine Anfangszeit in Spanien. Wenige Jahre später tauschte er die aragonesische Hauptstadt gegen die Mittelmeermetropole Barcelona.
Dort unterrichtete er vorerst weiter Englisch und war außerdem als Übersetzer tätig. Als der Brite sich eine Wohnung in Poble-sec kauft, wird er eines Tages auf eine Erinnerungsplakette an Boix‘ Geburtshaus aufmerksam. Das war im Jahr 2001. Seitdem lässt ihn die jüngere spanische Geschichte nicht mehr los. Gelangweilt von seinen bisherigen Jobs, durchlief Lloyd ein Jahrzehnt später eine Midlife-Crisis, aber eine positive, wie er sagt. „Ich habe mir keinen Sportwagen gekauft. Ich hatte auch kein Geld dazu“, scherzt der Brite. Stattdessen kam er auf die Idee, sein über die Jahre erworbenes Wissen über den Spanischen Bürgerkrieg in Form von besonderen Stadtführungen an Interessierte weiterzugeben.
„Walking Museum”
Doch bevor Lloyd 2010 seine ersten Führungen anbot, machte er einen Testlauf mit seinem Freund Oriol Soler, einem katalanischen Unternehmer. Ungefähr bei der Hälfte der ersten Führung trafen sie zufällig auf den südkoreanischen Sänger Psy, der wenige Jahre später mit dem Lied „Gangnam Style” weltberühmt werden sollte. Ein gemeinsames Selfie hat die Begegnung verewigt. Seit diesem ersten Testlauf hat Lloyd über eintausend Führungen gemacht, stets für ein diverses Publikum mit äußerst unterschiedlichen Vorkenntnissen. „Ich habe die Tour wie einen Dokumentarfilm konzipiert, so dass alle etwas Neues lernen können“, erklärt er. Unter den Teilnehmenden sind neben Tourist·innen auch Universitätsprofessor·innen oder Nachfahren von Soldaten im Bürgerkrieg.
Mittlerweile sind seine Touren jedoch mehr ein „Walking Museum”, wie der Brite es nennt. Immer dabei ist seine Tasche, in der er neben Fotos und Zeitungsausschnitten, auch historische Sammlerstücke, wie Abzeichen, Parteiausweise, sowie Reste von deutschen Brandbomben, mit sich trägt. Je nach Gruppe passt Lloyd die Inhalte der Tour an. „Der Spanische Bürgerkrieg ist so faszinierend, weil jedes europäisches Land in irgendeiner Form involviert war”, sagt er. Dementsprechend ist er bestens auf internationale Besucher·innen vorbereitet und bietet eine einzigartige Erfahrung an.



In den vier Stunden spricht Lloyd ausführlich über die Vorkriegssituation, die horrende soziale Ungleichheit in der spanischen Gesellschaft, die moderaten Reformen der spanischen Republik und das abrupte Ende des Reformprogramms mit Beginn des Spanischen Bürgerkriegs durch einen Militärputsch. Barcelona zeichnete sich durch die Besonderheit aus, dass die Niederschlagung des Putsches mit einer sozialen Revolution einherging. „Diese wird oft als der größte Versuch der Arbeiter·innen-Selbstverwaltung in der Geschichte beschrieben”, erklärt Lloyd.
Doch während der Führung spricht er auch über die Bombardierung Barcelonas, die kulturellen Aspekte der Republik und Revolution, sowie dem Einmarsch der franquistischen Truppen Anfang 1939. Der Krieg endete nicht für die Verlierer. Die Folge der republikanischen Niederlage war eine brutale Repression der Besiegten durch die Sieger. Entsprechend sieht Lloyd seine Tour auch als „ein Zeugnis für die Menschen, die den Krieg verloren haben."
Stadt der Erinnerung
Dafür eignet sich Barcelona besonders gut. In keiner anderen spanischen Stadt, so Lloyd, werde die Erinnerung an den Bürgerkrieg und den antifranquistischen Widerstand so lebendig gehalten wie in der katalanischen Hauptstadt.


Und entgegen des Klischees, dass über die Franco-Diktatur und den Bürgerkrieg ein Mantel des Schweigens gelegt wurde, seien die Menschen durchaus bereit, über die Vergangenheit zu sprechen. Als Vater zweier junger Kinder werde er oft in Gespräche mit anderen Eltern verwickelt. Sowohl die Nachfahren der republikanischen als auch der rebellierenden Soldaten zeigen Interesse an Lloyds Arbeit.
Allerdings bereitet es ihm Sorgen, dass die Erinnerungskultur unter der größer werdenden zeitlichen Distanz zu leiden beginnt. Dass das Interesse heute noch bestehe, liege daran, dass man die Personen, die den Bürgerkrieg erlebt hatten, noch persönlich kannte. Es handelt sich um Großeltern und Urgroßeltern. Für die jüngsten Generationen ist die Zeit der 1930er Jahre zu weit entfernt. „Die Erinnerungstränge der Familien zu dieser Zeit sind gekappt“, fasst es Lloyd zusammen. Insbesondere mit Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage und dem Aufstieg des Neofaschismus sei dies bedenklich, warnt er. „Ich glaube nicht, dass sich die Geschichte wiederholt, aber man kann Lektionen aus den 1930er Jahre lernen.”
Reisen durch den Spanischen Bürgerkrieg
Damit die Ereignisse der damaligen Zeit nicht vergessen werden, hält sie Lloyd schriftlich fest. Im Herbst dieses Jahres erscheint sein zweites Buch. Während sich das erste mit den vergessenen Plätzen Barcelonas während des Bürgerkriegs beschäftigt, hat er für sein nächstes Werk den Horizont etwas erweitert. „Zwar wusste ich viel über all das, was in Barcelona passiert war, aber darüber hinaus relativ wenig”, gibt Lloyd zu. So plante er ursprünglich durch eine Serie von Reisen den Bürgerkrieg an anderen Schauplätzen Spaniens zu erkunden.
Dieses Unterfangen war jedoch zu ambitioniert, wie er im Nachhinein eingestand. Somit konzentriert sich „Travels Through the Spanish Civil War” insbesondere auf die aragonesische und katalanische Front. Allerdings hat Lloyd auch Abstecher nach Madrid, Guernica, Frankreich und Österreich gemacht. Die Reisen haben seinen Blickwinkel auf den Bürgerkrieg etwas verändert. „Ich habe gelernt, wie wichtig die Geschehnisse andernorts für die Entwicklung der Ereignisse in Barcelona waren”. Er macht eine kurze Pause und überlegt. „Das sollte ich noch am Ende des Buches erwähnen.”
Interessierte können sich für eine Tour per E-Mail bei Nick Lloyd melden. Die Adresse, sowie eine Übersicht der Angebote und Preise, sind hier zu finden.
Mehr zur Spanischen Geschichte präsentiert Christoph Pleininger in seinem Podcast re:spaña