Wir wollen alles, dabei fehlt uns Nichts – ein kritischer Blick auf unseren Konsumismus
Die Künstler·innen Robert Heigl und Lisa Klauser verkaufen in ihrem Start-Up Unternehmen Nichts. Doch um Geldmachen geht es den beiden nicht.
Als ich in der letzten Februarwoche durch Traunstein schlenderte, wurde ich durch bunte Schilder und Kärtchen auf die baldige Neueröffnung eines kleinen Ladens namens „Nichts“ in der Innenstadt aufmerksam. Und natürlich musste eine der vor dem Eingang ausgestellten Postkarten mit. Zuhause angekommen warf ich einen Blog auf die Homepage www.nichtskaufen.de, die auf der mitgenommenen Postkarte angegeben wurde. Was ich dort fand, begeisterte mich. Sofort war klar: Das muss ich mir nicht nur nochmal genauer ansehen, sondern unbedingt auch ein Interview mit den Initiator·innen führen, um so viel wie möglich über dieses, angesichts des heutigen Zeitgeistes, kontroverse Projekt zu erfahren.
Hast du Zeit für Nichts?
Dies ist eine der zentralen Fragen, die das Projekt stellt. Ich habe mir diese Zeit genommen und stehe nun im vermutlich weltweit einzigen „Fachgeschäft für Nichts“. Robert Heigl, der zusammen mit Lisa Klauser dieses Projekt realisiert hat, führt mich durch den Laden, zeigt mir das facettenreiche Angebot, führt ein Verkaufsgespräch mit mir. Denn ja, hier gibt es wirklich Nichts zu kaufen. Nichts in verschiedenen Preisklassen, Nichts in verschiedenen Formen, sogar Nichts to go. Wer sich nicht entscheiden kann, kauft ein Los, um Nichts zu gewinnen – und wer eine Niete zieht, bekommt Etwas in Form von einer kleinen „Dumbo-Figur“, mit deren Besitz er sich von nun an herumschlagen muss.
Interessanterweise merke ich schon während der Einführung in das Sortiment den Effekt, den man auch spürt wenn man einem spontanen Konsumimpuls nachgibt.Aber wie kann das sein – geht es am Ende etwa gar nicht um das Produkt, ist das tatsächliche Bedürfnis vielleicht ein ganz anderes, das wir nur versuchen, durch einen Einkauf zu befriedigen? Hier scheint sich ein Innehalten und eine kurze Selbstreflexion auf jeden Fall zu lohnen, bevor man beim nächsten vermeintlichen Schnäppchen zugreift.
Von Nichts kommt Nichts
In einer Ecke des Ladens steht ein alter Schaukelstuhl, auf dem ein Schild mit den Worten „Das könnte dein Arbeitsplatz sein“ steht. Die Aufgabe der Menschen, die hier stundenweise arbeiten, ist es, in dieser Zeit tatsächlich nichts zu tun. Kein Blick auf das Handy, kein Plausch mit den Kund·innen, lediglich essen, trinken und der Gang zur Toilette (alles übrigens auch für Besucher des Ladens gratis!) sind erlaubt. Das klingt im ersten Moment leichter, als es für Manche ist. Am Ende gibt es dafür auch einen Lohn, der mit zwanzig Euro pro Stunde sogar weit über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Zwanzig Euro für’s Nichts tun, das anzunehmen fällt vielen besonders schwer, wie Lisa Klauser mir erzählt. Angesichts des Topos der „Deutschen Arbeit“, die quasi per Definition aus (übermäßigem) Fleiß, Streben nach Perfektion und Rücken bis zum Burnout besteht, kaum überraschend.
Oft investieren die Leute ihr wohl verdientes Geld ohnehin gleich wieder in den Einkauf von Nichts. Ja, richtig gehört, Nichts zu kaufen kostet tatsächlich Geld. Geld, das Lisa und Robert in Werbung für Nichts investieren. Auf unserem kleinen Spaziergang durch Traunstein zeigt Lisa mir die riesigen Werbeplakate. „Wir verdrängen damit Werbung für Etwas, für Konsumgüter.“ erklärt sie mir.
Aus dem Kauf von Nichts und dem Lohn für das Nichts tun entsteht also ein eigener kleiner Wirtschaftskreislauf, der stetig wachsen und Nichts verbreiten kann. Und das ganz ohne das Klima zu belasten, Ressourcen zu verschwenden oder Arbeiter·innen auszubeuten. Ein rigoroses Kontrastprogramm zu unserem Alltag also.
Raum für Nichts
Neben einer einzigartigen Möglichkeit, das eigene Konsumverhalten zu überdenken, schafft das Projekt noch etwas anderes. Es schafft einen Raum für Begegnungen, Austausch und Unterhaltung. Eine Gelegenheit, die wir in Zeiten des anonymen Onlineshoppings und leerer Innenstädte immer seltener haben. Und tatsächlich erfüllt dieses Gefühl von Gemeinschaft ein Bedürfnis nachhaltiger, als die Dopaminausschüttung beim Impulskauf es je können wird – und das nicht nur im Sinne der Umwelt. Bei all den vielfältigen Gesprächen hat Lisa K. festgestellt, dass viele Rentner das Projekt einfach großartig finden. Gerade die, die bereits fast ihr ganzes Leben mit mehr oder weniger harter Arbeit verbracht haben, scheinen also den Wert von Nichts längst neu für sich entdeckt zu haben.
Aber auch Kritik bleibt natürlich nicht aus. Der ein oder andere fühlt sich durchaus provoziert von der kontroversen Haltung der Initiatoren und der scheinbaren Sinnlosigkeit von Nichts. Außerdem – was ist überhaupt mit unserer Wirtschaft? Immerhin sichert sie unser aller Existenzen und mit Nichts werden wir sie wohl kaum aufrechterhalten können. Es geht nicht darum, überhaupt nichts mehr zu kaufen, das ist für Lisa klar. Es geht vielmehr darum, bewusster zu konsumieren, zu wissen, wann man „genug“ hat. Schon Julia Fritzsche hat vor einiger Zeit im Gespräch mit mir von einem neuen Narrativ einer „Wirtschaft der Genügsamkeit“ gesprochen.
Es geht nicht darum, dass wir schmerzlich verzichten sollen, sondern es geht vor allem darum, neu zu bewerten, was für uns „genug“ ist. Dazu müssen wir uns wohl vor allem fragen, ob ein Bedürfnis uns wirklich am Herzen liegt, oder ob es lediglich durch gut platzierte Werbung, das neueste Video eines oder einer Influenzer·in oder ein geschickt geführtes Verkaufsgespräch geweckt wurde. Überkonsum, das ist es was es zu verlernen gilt, denn er ist es, der neben unserem Kontostand auch unsere Lebensgrundlagen auffrisst.
Konsumklima vs. Klimakatastrophe
Lange war der Klimawandel etwas Abstraktes, das irgendwann einmal passieren wird, doch inzwischen sind wir bereits mittendrin. Viel zu heiße, viel zu trockene Sommer auf der einen und verheerende Überschwemmungen auf der anderen Seite. Dürreperioden schon im Frühjahr, kein Schnee und viel zu milder Temperaturen im Winter – wir bekommen die Folgen des Klimawandels längst vor der eigenen Haustür zu spüren und doch ist das erst ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch auf uns zukommt, wenn wir nicht endlich die Reißleine ziehen.
Dabei geht es nicht „nur“ um den CO2-Ausstoß, obwohl dieser alleine schon schlimm genug wäre. Es geht auch um Ressourcen. Wir betreiben Raubbau an der Natur, entnehmen ihr alle Rohstoffe bis auf den letzten Rest und hinterlassen dabei buchstäblich verbrannte Erde. Wir fügen Tieren unendliches Leid zu, um sie in Form von Fleisch oder Handtaschen konsumieren zu können. Selbst Kinder lassen wir unter unwürdigen Umständen für einen Hungerlohn schuften, um die Produkte, die wir zu brauchen glauben, möglichst billig im Laden erwerben zu können. Schlussendlich hinterlassen wir für alles, was wir der Natur hemmungslos entrissen haben, vor allem eins: Tonnenweise Müll.
Wir haben übertrieben und es ist an der Zeit, umzudenken. Das zeigen auch die Postkarten, die an einer Pinnwand neben der Sitzgruppe im Laden hängen. Dort beantworten Leute die Frage, an welchen Stellen in ihren Leben sie lieber nichts hätten, als das, was sie tatsächlich haben. Unter dem Titel „Nichts lieber als das – worüber wärst du froh, wenn du es nicht hättest“ finden sich die unterschiedlichsten Antworten. Krankheiten, Krieg, die Klimakrise sind eben so zu lesen wie der vollgestopfte Keller, der aus allen Nähten platzende Dachboden und gewisse, hochrangige, bayerische Politiker. Es gibt also reichlich Dinge, die die Menschen so sehr lieber nicht hätten, dass sie dafür mit Nichts vollkommen zufrieden wären.
Manche Dinge im Leben suchen wir uns nicht aus, aber für die Anschaffungen, die wir absichtlich tätigen, brauchen wir ein neues Narrativ und Lisa und Robert haben ein solches gefunden: Nichts macht dich glücklicher.