Wandel für Österreich
Wandel-Vorsitzender Fayad Mulla spricht mit Alerta über linke Kommunalpolitik, Einflussnahme der Medien und enttäuschende grüne Politik.
Herr Mulla, Wien wird regelmäßig zu einer der lebenswertesten Städte der Welt gewählt. Stimmen Sie dem zu?
Prinzipiell ja, wenn es nach den verwendeten Indikatoren geht. Allerdings geht man hier von einem Durchschnittswert aus, was heißt, dass es den Durchschnittsbüger·innen überdurchschnittlich gut geht. Nur weil es besser ist als anderswo, muss das per se nichts Gutes bedeuten und zum anderen gibt es viele Menschen in Wien, die definitiv nicht in der lebenswertesten Stadt wohnen.
Diese Durchschnittsberechnungen sind eines der größten Verbrechen unserer Welt. Schauen wir zum Beispiel in die USA: Es ist von der reichsten Nation die Rede, in der aber 40 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben. Entschuldigung, da kann man nicht von der reichsten und erfolgreichsten Nation sprechen. Der Durchschnitt ist nichtssagend: Wenn mein Nachbar Millionär ist und ich keinen Cent habe, dann sind wir gemeinsam Halb-Millionäre.
Am 11. Oktober finden in Wien die Kommunalwahlen statt. Ihre Partei tritt im Bezirk «Neubau» an. Wie läuft der aktuelle Wahlkampf während der Pandemie? Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie getroffen?
In unserem Büro haben wir einige Corona-Regeln aufgestellt. Es gibt Contact-Tracing Zettel, die von Personen, die nicht regelmäßig im Büro arbeiten, ausgefüllt werden müssen. Wir haben Desinfektionsspender und tragen Masken. Im Wahlkampf können wir aufgrund des schönen, warmen Wetters viel draußen machen. Es gibt somit keinen großen Unterschied zu normalen Zeiten, außer dass man eben Masken trägt, wenn man im engeren Kontakt mit den Leuten steht. Allerdings findet ein Großteil des Wahlkampfes auch im Internet statt.
Wie sieht ihrer Meinung nach linke und progressive Kommunalpolitik in einer Metropole wie Wien aus?
Für uns ist es wichtig, dass wir ein kohärentes Programm zusammenstellen. Das heißt, dass die Politik auf der kommunalen Ebene auf das gleiche Ziel einer progressiven, freien und demokratischen Gesellschaft hinausläuft, wie die Politik auf nationaler Ebene. Wir fordern etwa einen Bürger·innenrat sowohl im Wiener Bezirk als auch in ganz Österreich. Damit können die Bürger·innen als Korrektiv wichtige Entscheidungen direkt absegnen oder ablehnen.
Die Klimakrise zeigt außerdem, dass wir eine andere Energieversorgung brauchen. Wir wollen beispielsweise erreichen, dass die Dachflächen mit Solaranlagen bebaut werden, die dann auch den Bürger·innen gehören, so dass sie den Strom zum Selbstkostenpreis bekommen. Wir wollen eine Energiewende vorantreiben, ohne die alten Macht- und Besitzstrukturen zu übernehmen.
Was die Wohnungspolitik betrifft, steht Wien ein bisschen besser da als andere europäische Städte, weil wir das Erbe des «roten Wien» haben mit dem Kommunalbau. Dennoch gibt es 60 000 leerstehende Wohnungen, wobei diese Zahl nur auf einer Schätzung beruht, da die Stadt selbst keine Zahlen erfasst. Hier schlagen wir das «Amsterdam Modell» vor. Wenn eine Wohnung ein halbes Jahr leer steht und der Vermieter offensichtlich kein Interesse daran hat sie zu vermieten, stellt die Stadt eine·n Mieter·in. Für die Vermittlung wird eine Gebühr in Rechnung gestellt, die ruhig deftig sein darf.
Die Pandemie hat auch gezeigt, dass wir ein Grundeinkommen brauchen. Mittlerweile sind wir reich und fortschrittlich genug, dass wir den nächsten Schritt der Befreiung der Menschen gehen können. Besonders Künstler:innen und Kulturschaffende würden davon profitieren. Somit können sie wirklich ihre Kunst frei schaffen, ohne sich Sorgen um Fördermittel und die damit verbundenen Einschränkungen machen zu müssen. Wir sagen aber auch ganz klar, dass man von dem Grundeinkommen leben können muss. Daher fordern wir 1 500 Euro netto im Monat.
In dem Programm von Wandel ist von einem «Superblock» die Rede. Was versteht man genau darunter?
Einen «Superblock» kann man beispielsweise in Barcelona finden. Dort werden ein paar Häuserblocks zusammengefasst und alle Straßen dazwischen für den Verkehr gesperrt – Liefer- und Einsatzfahrzeuge natürlich ausgenommen. Da es keine Parkplätze gibt, kann so der entstandene öffentliche Raum den Anrainer·innen zur Verfügung gestellt werden.
In der Stadt des 21. Jahrhunderts brauchen wir keinen Individualverkehr mit Verbrennungsmotor mehr! Wir erweitern das Konzept jedoch um Bereiche, die uns zentral erscheinen, wie etwa Demokratie und Umweltschutz. Und erst wenn diese Punkte erfüllt sind und alle Menschen gut leben können, handelt es sich um einem «Superblock». Sonst ist es halt ein normaler Wohnblock.
Im Sommer sorgte der «Gürtel-Pool» in Wien für Schlagzeilen. Dabei handelte es sich um einen Pop-Up-Pool inmitten einer siebenspurigen Kreuzung des Wiener Gürtels. Halten sie solche Maßnahmen für zukunftsfähig oder ist es reiner politischer Aktionismus von rot-grün?
Die Maßnahme selbst war politischer Aktionismus, obwohl gleichzeitig geschaut wurde, wie sich das auf den Verkehr auswirkt. Das in den Sommermonaten durchzuführen ist jedoch relativ sinnlos, weil die Leute im Urlaub und somit weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind. Früher war an der gleichen Stelle übrigens ein Kinderschwimmbad. Ich denke, man muss insgesamt mutiger herangehen.
Die 150 000 Euro, die für dieses PR-Projekt investiert wurden, hätte man nachhaltiger investieren müssen. Der Pool ist jetzt abgerissen, das Geld ist weg und die Ergebnisse der Verkehrsmessung nutzlos. Das ist beispielsweise ein Unterschied von uns zu den Grünen oder den Sozialdemokrat·innen, die vollkommen mutlos sind und sich der Propaganda der Rechten und Liberalen untergeordnet haben.
Wandel hat aber auch in den Sommermonaten für Schlagzeilen gesorgt: Sie haben HC Strache vorgeworfen, er könne nicht um das Amt des Wiener Bürgermeisters kandidieren, weil er gar nicht in Wien wohne. Ihre Anzeige wurde von den österreichischen Medien mit großem Interesse verfolgt. Wie kam es zu der Aktion und haben Sie mit den Reaktionen gerechnet?
Ich muss an dieser Stelle korrigieren: HC Strache behauptet, er kandidiere für den Wiener Bürgermeistersessel, aber er hat natürlich absolut keine Chance. So ein abgehalfterter Kellernazi wird nicht von 50 Prozent der Bevölkerung gewählt! Er kandidiert für seine Abgeordnetenimmunität und nicht für’n Bürgermeister! (lacht)
Die Debatte über Straches Wohnsitz gab es schon länger und es hatte jemand darüber getwittert. Also dachte ich mir, dass ich mir das im Detail anschauen muss: Was sagt das Wahlgesetz, wo wohnt Strache wirklich, wo hat er seine Firma angemeldet, etc. Es war relativ schnell klar, dass er in dieser Villa in Klosterneuburg wohnt, die ja von seiner alten Partei auch bezuschusst worden ist und eben nicht in Wien bei seiner Mutter. Es handelt sich um eine Scheinmeldung, damit er in Wien kandidieren kann.
Wir haben dann die Anzeige gestellt, ein Video gedreht und uns gedacht, dass es schon ein paar Leute interessieren wird. Dass es am Ende so viel Aufmerksamkeit gab und das über Wochen, hat uns schon ein bisschen gewundert bzw. erfreut, weil dadurch auch unser Bekanntheitsgrad gestiegen ist.
Es ist aber schockierend, weil die Medien geil auf solche Geschichten sind. Wenn wir Programme schreiben oder coole Aktionen machen, dann interessiert es sie nicht. So funktioniert leider die Medienlogik und das ist eines unserer zentralsten Demokratieprobleme. Die bürgerlichen Medien sind in der Hand von bürgerlichen und sehr reichen Leuten.
Es war aber ein Erfolg, weil die Demokratiegesetze für alle gelten, auch für einen Strache, der lange Zeit da oben war. Außerdem haben wir dem Kellernazi ein paar beschissene Wochen beschert. Einfach super geil!
Wie ist der aktuelle Stand?
Die Bezirkswahlbehörde hat darüber entschieden, nachdem Ermittlungen durchgeführt wurden. In dieser Behörde sitzen ja nur Parteienvertreter·innen und die können darüber abstimmen, ob eine andere Partei antritt oder nicht. In diesem Fall haben die SPÖ, die Grünen und die ÖVP dafür gestimmt, dass Strache antreten darf. Das ist natürlich eine vollkommen opportunistische Entscheidung, weil die SPÖ und die Grünen hoffen, dass Strache der FPÖ ein paar Stimmen abnimmt, und deswegen lassen sie so einen Typen wieder antreten. Was soll man dazu sagen? Natürlich kann jemand auch die Wahl anfechten, jedoch wir nicht, weil wir nicht auf Landesebene antreten.
Die FPÖ hatte angekündigt, dass sie eventuell die Wahl anfechten würde, sofern Strache antreten wird.
Das hat Norbert Hofer in dem Sommergespräch gesagt. In einem Interview später sagte er: «Ja, schaun’ ma mal!» Er geht davon aus, dass es der Wandel sowieso machen wird. Da hat der nächste feige Nazi sofort den Schwanz eingezogen und zum anderen hat er genauso wenig gecheckt, dass wir die Wahl gar nicht anfechten können. Aber mit den Gesetzen haben es die Rechten eh nie so.
Wie steht es allgemein um linke Politik in Österreich?
Prinzipiell nicht-existent, wenn man es auf der institutionellen Ebene betrachtet. Im Parlament von linker Politik zu sprechen, ist schon relativ schwierig. Die Roten waren ja vorher lange in Österreich an der Macht, entweder als Juniorpartner oder Kanzlerpartei. Bevor der Rechtspopulist Kurz an die Macht gekommen ist, hatte die SPÖ dreimal hintereinander den Kanzler gestellt und absolut keine linke Politik gemacht bzw. keine Politik für das Gemeinwohl, für die Menschen oder die Umwelt.
Hätte man wirklich eine solche Politik gemacht, dann hätten Rechtspopulisten wie der Kurz keine Chance. Niemand würde Leute wie ihn oder Trump wählen, wenn die Bevölkerung merkt, dass es eine Alternative gibt, die ihr Leben wirklich verbessert.
Durch die Klimadebatte haben jetzt viele die Grünen gewählt – auch in der Hoffnung, dass es eine linke Partei ist. Sie haben natürlich einen Tag nach der Wahl sofort ihr Wahlversprechen, dass sie nämlich in keine Koalition mit dem Rechtspopulisten Kurz gehen, gebrochen.
Nach ein paar Wochen Koalitionsverhandlungen stand die neue Regierung. Sie haben wirklich ihr gesamtes Programm verraten, selbst in Bereichen, für die sie früher vehement gekämpft haben, wie Menschenrechte und Demokratie. Das können sich mittlerweile auch die letzten abschreiben, dass das linke Politik ist, was von den Grünen kommt.
Wie sieht es außerhalb des Parlaments aus?
Es gibt natürlich Dinge, die außerhalb des Parlaments passieren. In unserer derzeitigen bürgerlichen Demokratie hat man den größten Gestaltungsspielraum im Parlament und dem wird auch, in Kombination mit den bürgerlichen Medien, die größte mediale Aufmerksamkeit geschenkt.
Solange die Positionen in den Medien, aber auch im Parlament und anderen Institutionen, wie Gewerkschaften, von den Leuten besetzt sind, die sich zwar vermeintlich auf der richtigen Seite geben, aber sich sehr wohl mit ihren dicken Gehältern in Parteien und Sozialverbänden arrangiert haben und nicht das machen, was sie mit ihrem Mandat eigentlich tun sollen, wird es die linke Politik sehr schwer haben.
Gleichzeitig tagt aktuell der Ibiza Untersuchungsausschuss, in dem es auch darum geht, wie die ehemalige FPÖ-Spitze Österreich verschachern wollte. Dann gibt es den Skandal um die überzogenen Wahlkampfkosten der ÖVP. Gefühlt folgt ein Skandal dem nächsten, wenn es um die ehemalige Regierung geht. Die politische Linke müsste doch eigentlich ein leichtes Spiel haben?
Das Problem ist eher: Wie kann ich die Leute erreichen? Die Medien haben nicht das geringste Interesse an Menschen auf der linken, fortschrittlichen Seite und für deren Inhalte. Man muss sich nur einen Aluhut aufsetzen, sagen man ist ein veganer Koch und man will jetzt das Deutsche Reich wieder einführen und bekommt Aufmerksamkeit noch und nöcher.
In Wien hat eine Verrückte eine Regenbogenfahne bei einer Covidioten-Demo zerrissen und schreit irgendwas von «Kinderschändern». Alle Medien berichten darüber auf ihren Titelseiten und geben Interviews. Als linke Partei kannst du dich gar nicht so «stark aufführen», als dass du irgendwie eine solche Coverage bekommst und dann über deine Inhalte sprechen kannst.
Die verrückten Corona-Demonstrant·innen kriegen ja nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern können auch ihre Themen platzieren. Wenn die Linken einmal diese Aufmerksamkeit bekommen, weil sie was Arges gemacht haben, dann wird nur über ihr großes Verbrechen geredet, aber nicht über Ideale oder Ideen.
Das heißt, dass die politische Linke von den Medien ignoriert wird?
Wir wissen, wie die Medien arbeiten und ihre Strukturen funktionieren. Da ist nicht immer der journalistische Ethos die letzte Entscheidungsgewalt, sondern die Besitzer·innen der Medien. In Österreich befinden wir uns in einer extremen Situation.
Die Kronen Zeitung als Medium in privater Hand hat eine Marktdurchdringung, wie es sie in keinem anderen Land gibt. Sie ist ungefähr so mächtig wie eine Volkspartei, quasi als dritte neben ÖVP und SPÖ. Es handelt sich um eine demokratisch nicht-legitimierte Instanz, die ein gewaltiger Machtfaktor ist, die natürlich kein Interesse an der Verbreitung alternativer Ideen hat.
Somit ist es trotz der guten Ausgangssituation schwer, die Menschen mit linken oder alternativen Ideen zu erreichen oder mitzuteilen, dass es Wandel überhaupt gibt. Bei den Nationalratswahlen sind wir bundesweit angetreten, aber das wird in den meisten Medien nicht einmal erwähnt, weil wir eine Kleinpartei sind.
Es heißt dann: «Das sind die Parteien, die antreten zur Wahl» und es werden nur die Parteien und Spitzenkandidat·innen aufgelistet, die bereits im Parlament sitzen. Zu den Diskussions- und Elefantenrunden im ORF werden auch nur die Parlamentsparteien eingeladen.
In der Anmoderation des öffentlich-rechtlichen Fernsehens heißt es: «Das sind die sechs Parteien, die zur Wahl antreten». Aber es sind acht Parteien. Oft treffen wir Menschen auf den Straßen, die uns sagen: «Ich hab noch nie gehört, dass ihr antretet.»
Ist es demnach klüger auf kommunaler Ebene linke Projekte und Politik umzusetzen?
Klüger würde ich nicht sagen. Wir dürfen keinen «Kampfbereich» auslassen. Das können wir uns schlichtweg nicht leisten. Die Menschen haben auch unterschiedliche Interessen. Während die einen Kommunalpolitik mehr interessiert, wollen die anderen mehr auf internationaler, globaler Ebene agieren. Also müssen wir die Leute dort hinbringen, wo sie ihre Interessen und Kompetenzen haben.
Nach dem Fall der türkis-blauen Koalition regiert Sebastian Kurz nun mit den Grünen. Wie ist Ihr Fazit der grünen Regierungsarbeit bis her?
Offensichtlich stehen bei den Grünen die Punkte ihres Programms jederzeit zur Disposition, wenn es um Verhandlungen mit den Rechtspopulisten geht. Im Wahlkampf schauen die Leute natürlich, was sagen denn die Spitzenkandidat·innen der Parteien.
Der Parteichef der Grünen, Werner Kogler, hat in einem Interview gesagt, dass es null Prozent Wahrscheinlichkeit gebe, dass man mit der ÖVP in eine Koalition geht. Das hat er sogar mit einem Handzeichen, in dem er mit den Händen eine Null geformt hat, unterstrichen. Direkt am Tag nach der Wahl hat diese Ansage nicht mehr gegolten.
Es ist mit der ÖVP verhandelt und ein Pakt gemacht worden. Bis auf ein paar Klimamaßnahmen, die dem Ausmaße des Klimawandels in keinster Weise gerecht werden, ist von ihrem Programm wenig zu spüren. In ein paar Jahren gibt es beispielsweise ein «1-2-3 Öffi Ticket», das super fancy heißt und mit dem man für ein paar Euro weniger durch Österreich fahren kann. Unsere Welt fackelt gerade ab und wir führen in ein paar Jahren ein «1-2-3 Öffi Ticket» ein.
Ihr ganzes Menschenrechtsprogramm, dazu gehören natürlich auch die Themen Flucht & Migration, haben die Grünen aufgegeben und vollkommen der ÖVP überlassen. Das sind Bereiche, über die wir nicht einmal verhandeln würden, besonders Dinge, die in internationalen Verträgen verschriftlicht wurden. Darüber hinaus haben es die Grünen sogar zugelassen, dass, wenn die ÖVP mit dem Abstimmungsverhalten der Grünen bei dem Part «Flucht & Migration» nicht glücklich ist, außerhalb der Koalition mit der FPÖ eine Mehrheit suchen kann.
Das ganze Koalitionsprogramm ist so horrend für jemanden, der einmal an links-grüne Politik geglaubt hat. Jetzt haben wir die Regierung seit einem dreiviertel Jahr und die Bilanz ist schon sehr ernüchternd. Ein 40 Euro Mindestpreis für Flüge wird niemanden davon abhalten weniger zu fliegen. Das nennt sich dann grüne Politik.
Wenn man die Leute im Parlament repräsentiert, dann muss man liefern, sonst werden die Leute enttäuscht. Nicht umsonst sind die Grünen schon einmal aus dem Parlament geflogen.
Ein ehemaliger grüner Politiker versucht sich immer wieder als das Gewissen Österreichs – der Bundespräsident Alexander van der Bellen. Wie zufrieden sind Sie mit ihm?
Auf dem Papier ist der österreichische Bundespräsident äußerst mächtig, aber aus Tradition realpolitisch wenig involviert. Ich sehe von Herrn van der Bellen keine wirkliche fortschrittliche Politik – eigentlich eher das Gegenteil davon. Die türkis-blaue Vorgängerregierung, die ja teilweise Nazis in der Regierung hatte, hat der Bundespräsident bedingungslos angelobt.
Van der Bellen hat alle drei Geheimdienste Österreichs in freiheitliche Hände gegeben. Keinerlei Einspruch und niemand kann ihn dazu zwingen, dass er diese Leute angelobt. Sein Vor-Vorgänger Dr. Thomas Klestil (ÖVP) hat sich sogar getraut, dass er bei der ersten schwarz-blauen Regierung einen Faschisten, wie den Hilmar Kabas, ein Ministeramt verweigert.
Dann kommt Sascha van der Bellen, ein angeblicher Linker, und lobt eine deutlich rechtere Regierung an, als damals unter schwarz-blau. Da soll man noch glauben, dass es irgendwie schön ist, dass wir jetzt einen grünen Bundespräsidenten haben.
Natürlich geht es immer schlimmer. Ein Norbert Hofer (FPÖ) wäre schlimmer gewesen. Das ist aber kein Argument. Wenn ich dir einmal in die Bappn hau und sag: «Freu dich bitte drüber, weil ich hätte dir zweimal in die Bappn hauen können», dann ist das ein Scheißargument. (lacht)
Welche Zukunft sehen Sie für Wandel auf Bundesebene?
Uns geht es eigentlich nie um unsere Partei. Wir wollen vielmehr, dass diese fortschrittlichen Ideen in Wirtschafts-, Gesellschafts- und Gleichberechtigungspolitik in alle Ebenen und auch in das Parlament hineingetragen werden. In welcher Form das geschieht, ist für uns nicht konkret wichtig.
Solange es nichts anderes gibt, machen wir das gerne als Wandel weiter. Immerhin haben wir jetzt eine relativ starke Marke aufgebaut. Das Parlament ist für uns aber nur eine von vielen Ebenen, die es braucht, dass dieser Wandel überhaupt passieren kann. Diese Bühne sollten wir uns nicht nehmen lassen, da es sich um eine gewaltige politisch-mediale Bühne handelt, die auch über viele Ressourcen verfügt.
Gleichzeitig darf man sie nicht überschätzen. Man braucht nicht glauben, dass man die Grundfeste der bürgerlich-kapitalistischen Demokratie aushebeln kann, wenn man mit fünf, zehn oder zwanzig Prozent hineingewählt wird. Für diese Veränderung braucht es eine wirkliche Veränderung und die muss gleichzeitig auf mehreren Ebenen, wie zum Beispiel der Straße, im Betrieb, in den Gewerkschaften und den Parlamenten, stattfinden.
Fayad Mulla (*1980) ist Vorsitzender und Mitgründer der österreichischen Partei Wandel. Er trat zusammen mit Daniela Platsch als Spitzenkandidat bei den Nationalratswahlen 2019 an. Wandel erhielt 0,5 Prozent der Stimmen.