Verfolgt, vertrieben, vergessen – Gitanos in der Franco-Diktatur
Die Franco-Diktatur war für die spanischen Roma (Gitanos) eine weitere Etappe der Unterdrückung. Bis heute wird diese jedoch nur zaghaft anerkannt.
Unter dem Vorwand, die spanische Gesellschaft zu schützen, ging der franquistische Staat bereits kurz nach Ende des Bürgerkrieges gegen die Gitano-Bevölkerung (spanische Roma) vor – und steht dabei in einer langen, unrühmlichen Tradition des spanischen Antiziganismus. So verordnete der Zivilgouverneur der baskischen Provinz Bizkaia im November 1939 die Zwangsentlausung verschiedener Gruppen, zu denen auch Gitanos gehörten. Der Grund: Die franquistische Propaganda sah in ihnen Träger von Infektionskrankheiten, wie etwa Typhus.
Einen Einblick in die Sichtweise der Franquisten gab der Richter Antonio Sabater Tomás, der 1962 Gitanos als „spezielle Rasse” beschrieb, die hauptsächlich von Diebstahl und Betrug leben würden. Für das Franco-Regime stellte somit ihre bloße Existenz eine Gefahr für die Gesellschaft dar, gegen die man vorbeugend vorgehen müsste.
„Die erlassenen Gesetze der Franco-Diktatur konzentrierten sich auf die Ausrottung von allem, was nichts mit den Wert- und Moralvorstellungen des Regimes zu tun hatte”, erklärt der Historiker Rafael Buhigas Jiménez, der selbst der Minderheit angehört. Er beschäftigt sich in seiner Doktorarbeit unter anderem mit der Unterdrückung der Gitanos während des Franquismus. Damit betritt der Historiker akademisches Neuland, denn die Thematik ist bisher kaum erforscht.
Überwachen und Strafen
Am deutlichsten lässt sich die Unterdrückung der Gitanos anhand der politisch-juristischen Verfolgung zeigen. Im Mai 1943 wurde etwa eine Dienstvorschrift für den militärischen Polizeikörper Guardia Civil ausgegeben, in der den Polizisten befohlen wurde, Gitanos sorgfältigst zu überwachen, ihre Dokumente zu überprüfen und sie bei Zuwiderhandlungen sofort zu verhaften. Ein Teil der Vorschrift bezog sich auf einen königlichen Befehl aus dem Jahr 1878, wodurch die Kontinuität des spanischen Antiziganismus auf politischer Ebene deutlich wird. Dieser zog sich auch durch die Zeit der Zweiten Republik (1931–1939), die trotz ihres liberalen Charakters im Jahr 1933 ein sogenanntes «Landstreicher-Gesetz» verabschiedete, das dem Franquismus später ebenfalls als Grundlage der Unterdrückung der Gitanos diente. Dieses Gesetz wurde 1970 durch das franquistische „Gesetz über die soziale Gefährdung“ ersetzt.
Trotz der politisch-juristischen Verfolgung der Roma warnt Buhigas Jiménez vor Generalisierungen. „Man muss sich Bild der Komplexität der sozialen, politischen und anthropologischen Geschichte der Gitanos stellen”, erklärt er. Bekannte linke Gitanos wie der Gewerkschaftsführer Marianet (Mariano Rodríguez Vázquez) und der Künstler Helios Gómez wurden primär verfolgt, weil sie dem Anarchismus oder Kommunismus nahestanden und nicht, weil sie Gitanos waren. Außerdem gibt es Unterlagen, die zeigen, dass auch Gitanos am Staatsstreich im Juli 1936 beteiligt waren sowie Francos Diktatur offen unterstützten.
Insgesamt fehle es jedoch an Forschungen, Studien und Quellen. So lässt sich etwa die Frage, inwieweit Gitanos während des Franquismus in Internierungs- und Arbeitslager deportiert wurden, nicht zufriedenstellend beantworten. „Nach vielen Gesprächen mit Historikern bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es bisher keine dokumentarischen Quellen zu dem Thema gibt, die die spärlichen mündlichen Überlieferungen ergänzen könnten”, sagt Buhigas Jiménez.
Landflucht und Pogrome
Allerdings bestätigt der Historiker, dass die Unterdrückung der Gitanos ab 1959 zunahm. Grund dafür war eine eingetretene Landflucht, die eine urbane Krise auslöste. Diese machte auch vor den Gitanos nicht Halt. Sehr häufig lebten sie in den Slums der spanischen Städte und eine Integration war aufgrund des ausgeprägten Antiziganismus nur schwer möglich. Diese Situation sorgte für Spannungen, bei denen es zu Fällen von Vertreibungen, Umsiedelungen in Ghettos und sogar zu Angriffen sowie Pogromen kam.
Dies änderte sich auch nicht nach Francos Tod im Jahr 1975. Zwar wurde die Dienstvorschrift der Guardia Civil 1978 abgeschafft, doch „paradoxerweise nahmen die Repressionen an Schärfe und Umfang zu”, erklärt Buhigas Jiménez. Bei einem 1986 stattfindenden Pogrom in der Kleinstadt Martos in der andalusischen Provinz Jaén zündete ein Mob von rund 200 Einwohnern mehrere Häuser der dort lebenden Gitano-Bevölkerung an. Als Folge suchten sich die betroffenen Bewohner andere Bleibestätten in Andalusien oder verließen die Region in Richtung Katalonien.
Spätestens seit der Jahrtausendwende haben sich die Debatten über die Aufarbeitung der diktatorischen Vergangenheit Spaniens intensiviert. Ein erster politischer Schritt wurde im Jahr 2007 mit dem Gesetz zur «Memoria Histórica» unternommen. Erklärtes Ziel der damaligen Regierung war es, die Rechte derer zu stärken, die während des Bürgerkrieges oder der Franco-Diktatur Verfolgung oder Gewalt erlitten hatten. Im ersten Gesetzestext wurden Gitanos jedoch nicht erwähnt. Erst in der Neuauflage vom Oktober 2022 ist die Bildung einer „Kommission für Erinnerung und Versöhnung mit dem Volk der Gitanos” vorgesehen. „Rein rechtlich werden die Gitanos also erst jetzt als Teil des historischen Gedächtnisses gesehen”, erklärt Buhigas Jiménez. Die Aufarbeitung der Unterdrückung der Gitanos während des Franquismus werde jedoch durch die erwähnten Forschungslücken massiv erschwert.
Das EU-Projekt „Chachipen” bestätigt diesen Eindruck. In einem im Dezember 2022 erschienenen Länderbericht zu Spanien fordern die Forscher etwa die Öffnung der Archive, das Sammeln von Augenzeugenberichten der Gitano-Opfer der Franco-Diktatur sowie die Erhebung statistischer Daten über die Situation der Gitanos in Spanien. Nur so lasse sich eine Aufarbeitung des franquistischen Antiziganismus bewerkstelligen. Dementsprechend liegt noch ein langer Weg vor Spanien, dem Anspruch seines „historischen Gedächtnisses” gerecht zu werden.
Beitrag zuerst veröffentlicht in dROMa 01/2023