Verbündet euch! – Ein Appell an Politik und Gesellschaft
35 Autor·innen aus den verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Bereichen appellieren gemeinsam für eine solidarische, bunte und freie Zukunft. Noch ist es nicht zu spät.
In „Verbündet euch! Für eine bunte, solidarische und freie Gesellschaft“ machen die Autor·innen vor, was sie im Titel fordern: Es versammeln sich erstmals 35 Menschen aus Parteipolitik, Journalismus, Wissenschaft, Kultur, Vereinen, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Bewegungen, um gemeinsam den Aufbruch zu wagen.
Für die Einstimmung auf das was folgt, sorgt schon das beflügelnde Vorwort von Nicole Wloka. Leider würde auf jeden der 35 Texte detailliert einzugehen den Rahmen hier sprengen, deshalb stellen einzeln aufgegriffene Texte nur eine Auswahl dar, um den potentiellen Leser·innen einen groben Überblick zu vermitteln. Jeder der im Buch erschienenen Texte ist mit seinem Beitrag zum Gesamten gleichermaßen (ge-)wichtig und notwendig.
Eine Liste aller Mitwirkenden findet sich ebenso am Ende der Rezension wie eine kleine Auswahl weiterführender Links zu im Buch angesprochenen Projekten und Initiativen.
Verstehen wir dieses Buch als das so dringend notwendige Gespräch unter möglichen Bündnispartnern auf parteipolitischer Ebene im gleichzeitigen offenen Austausch mit den übrigen Instanzen darüber, wie sich eine gerechtere, zukunfts- und bedürfnisorientierte Demokratie gestalten ließe. Politiker·innen legen ihre Antworten auf die Herausforderungen dar, Fachleute steuern ihre Expertise bei und Aktivist·innen schaffen mit ihren Ideen praktische Lösungswege.
Klingt im ersten Moment vielleicht nach einer langwierigen, trockenen Geschichte, doch im Gegensatz zu den einschlägigen Polit-Talkshows liefert dieses Buch vor allem eins – eine geballte Ladung Inhalt. Denn allen Beteiligten ist klar: Viel Zeit bleibt nicht mehr.
Packen wir’s an!
Im ersten Teil beschäftigen sich die Autor•innen mit einer Bestandsaufnahme, analysieren die Ursachen der bestehenden Probleme und die Hindernisse, die bisher einer Lösung entgegen stehen.
Zu Beginn werden wir also um ein wenig offene Kapitalismuskritik nicht herumkommen. Doch gerade für diejenigen, die hier reflexartig „Sozialismus!“ oder gar „Kommunismus!“ rufen wollen, lohnt es sich durchzuhalten. Und vor allem es auszuhalten, einmal unaufgeregt und in aller Ruhe vor Augen geführt zu bekommen, warum und weshalb der Neoliberalismus kläglich versagt hat und dieses Versagen maßgeblich verantwortlich ist für das Erstarken der neuen Rechten. Aber auch wie es passieren konnte, dass die intellektuelle Linke die Verbundenheit zur Arbeiterklasse verloren zu haben scheint.
Jan Korte geht beispielsweise in seinem Text „Make Solidarity Great Again“ auf einen wichtigen Punkt ein – wie kann man die Menschen abholen, die Arbeiter·innen, für die eine „Rückkehr zum Sozialstaat“ kein Rückschritt wäre, die Angst vor Neuem haben, weil es ihnen in einer alten Erzählung schon einmal tatsächlich besser ging?
Ohne diese ehrliche Aussprache werden wir nur schwer vorwärtskommen. Das Schöne an diesem Buch ist, dass diese Evaluierung rasch geschieht und der Fokus auf dem Neuen liegt, auf dem, was an Stelle des Alten treten kann, um eine bessere Zukunft für alle zu schaffen.
So lädt Julia Fritzsche die Leser•innen dazu ein, mit ihr auf die Suche zu gehen nach einer neuen linken Erzählung und weist auf zahlreiche Ansatzpunkte hin, an denen diese Suche beginnen könnte – oder an denen sie längst fündig geworden ist. (Wer sich aus dieser Perspektive intensiver mit den einzelnen Bereichen auseinander setzen möchte, dem empfehle ich J. Fritzsches Buch „Tiefrot und radikal bunt“, in dem viele der hier von der Autorin angeschnittenen Punkte ausführlich recherchiert zusammengefasst sind.)
Essenzielle Themen wie solidarische Landwirtschaft, Humanismus, zukünftige Finanzpolitik und innere Sicherheit werden aufgegriffen und ausführlich behandelt – teilweise sogar schon unter Berücksichtigung neuer Aspekte, die aus der Corona-Krise hervorgingen. Schließlich gipfelt der erste Teil des Buches in eine 10 Punkte Argumentation für eine R2G Regierung nach der diesjährigen Bundestagswahl.
Am Ende steht als großes gemeinsames Ziel eine sozial-ökologische Transformation. Dabei geht es um mehr als die Frage nach politischen und ökonomischen Systemen und deren Verwaltungsaufwand. Es geht um mehr Lebensqualität für alle – nicht nur in materieller Hinsicht. Und es geht um unseren Planeten, der die Grundlage dafür ist, dass wir uns solche Fragen überhaupt stellen dürfen.
Wohin wird der neue Weg uns führen?
Der zweite Teil beginnt mit der entscheidendsten dieser Fragen, mit der wir uns intensiv auseinandersetzen müssen:
Wie wollen wir in Zukunft leben?
Der Antwort auf diese Frage geht Bärbel Bas am Beispiel „Pflege als Spiegel der Gesellschaft“ auf den Grund. Denn gerade im Bereich der Care-Berufe finden sich viele Problematiken, die sich auf das große Ganze umdenken lassen. Hohe Kosten, niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und die Folgen für die Pflegebedürftigen – an kaum einer anderen Stelle werden uns die Grenzen der Vereinbarkeit zwischen Profitgier und menschlichen Bedürfnissen so deutlich aufgezeigt wie hier.
Die essenziellen Bereiche, deren Umstrukturierung für eine sozial-ökologische Transformation notwendig ist, kommen auch im zweiten Teil ohne Umschweife auf den Tisch – immer mit dem Hauptaugenmerk auf sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verträglichkeit.
Zur unumgänglichen Verkehrswende schreibt Sven-Christian Kindler: „Der Umbau in der Automobil- und Mobilitätswirtschaft muss politisch gestaltet werden, anstatt durch Tatenlosigkeit oder Leugnung der Verkehrswende harte Strukturbrüche zu verursachen.“ Und meines Erachtens lässt sich dieser Satz noch auf weitere Bereiche wie beispielsweise die Energiewende ausweiten.
Eine der größten Aufgaben wird es jedoch sein, das Vertrauen der Menschen in eine Demokratie abseits von Wirtschaftsbossen und Lobbyismus wieder herzustellen, indem man den Bürgern aktives Mitgestaltungsrecht einräumt.
Tatsächlich sind wir nur gemeinsam stark
Der letzte Abschnitt des Buches nimmt Bezug auf die Menschen, die sich verbinden und aktiv Verbindungen schaffen müssen. Zum Beispiel zwischen Bewegungen und Regierung. Wie dieses Wechselspiel zwischen Protesten auf den Straßen und dem Handeln der Politik positiv zum Erhalt und zur Gestaltung einer bürgernahen Demokratie beitragen kann, schildert Christoph Bautz.
Einen weiteren enorm wichtigen Punkt, nämlich den der Menschenrechte, stellt Frank Schwabe heraus. Weltweit, aber auch in Europa ist es in den letzten Jahren vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen gekommen. Internationale Vereinbarungen müssen endlich ihren Weg in die nationale Gesetzgebung finden – auch in Deutschland. In 7 Projekten erklärt er die unterschiedlichen Bereiche auf nationalen und internationalen Ebenen, in denen Menschenrechte nicht nur endlich eingehalten, sondern auch gestärkt, geschützt und gepflegt werden müssen.
Anhand der Aktion „Wir schicken ein Schiff“ erläutert Ansgar Gilster, dass im Verbund ein gemeinsames Ziel, von dem alle profitieren, leichter zu erreichen ist als allein zu erstreitende Einzelinteressen. Das Einmischen von uns allen ist gefordert, denn allein auf politischer Ebene lassen sich die neuen Herausforderungen nicht lösen.
Annton Beate Schmidt macht mit ihrem sehr persönlichen Beitrag Mut, sich aus alten Mustern zu lösen und Solidarität neu einzuordnen. Denn der Weg in eine bunte, solidarische und freie Gesellschaft wird daran nicht vorbeiführen.
Aufbruchstimmung
Wenn also wieder einmal jemand vor uns steht, und sagt, eine bessere Welt wäre realitätsfern, nicht leistbar und nicht umsetzbar, dann müssen wir dem klar und deutlich entgegensetzen: Doch, das ist sie wohl!
Viele neue Wege existieren schon, in unzähligen Bereichen haben längst Bürger selbst die Initiative ergriffen, neue Wege gestaltet und Erfahrungen gesammelt – und nun wäre es endlich an der Zeit, dass auch die Politik diese neuen Ideen aufgreift und einen progressiven Weg (mit-)beschreitet.
Diese vielfältige und kurzweilige Textsammlung bietet den Leser•innen die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu machen, vom Status quo über thematische Einblicke zu möglichen Auswegen.
Das Buch liefert außerdem eine gute Erklärung dafür, warum und wie wir die Menschen (auch verunsicherte Bürger, die ihr Vertrauen in die Politik verloren haben) davon überzeugen müssen, dass eine soziale und grüne Politik das Beste für uns alle ist. Hilfreich ist es auch für die Wahlentscheidung, welche der links-grünen Parteien auch immer man wählen will, hier kann man nochmal klar für sich herausfinden, welchen Aspekten man mehr Gewicht geben möchte.
Dieses Werk führt endlich (wieder) zusammen, was schon immer zusammengehört hat: ein Bündnis, das die Politik an den Bedürfnissen der Menschen und des Planeten orientieren will. Ein Bündnis, das Regierungsverantwortung übernehmen muss, wenn es eine parlamentarische Mehrheit bekommt. Auch die Parteien seien dazu aufgerufen, ihre vermeintlichen Differenzen in Details für das gemeinsame Ziel beiseitezulegen.
Es wäre so viel mehr als nur ein innerparteilicher Waffenstillstand, es wäre der Weg in eine bessere Zukunft für uns alle mit einer an den Bedürfnissen aller orientierten Politik. Nichts davon wird über Nacht passieren, auch der Weg in eine bessere Welt beginnt mit den ersten Schritten – aber diese müssen endlich gegangen werden.
Weiterführende Links:
https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/zukunft-fuer-alle/
https://www.solidarische-landwirtschaft.org/startseite
https://www.spd-denkfabrik.de/
Verbündet euch!
Denkfabrik (Hrsg.)
Edition Nautilus, 312 Seiten
18,00 Euro (Paperback) / 9,99 Euro (E-Book)
Liste der mitwirkenden Autor:innen
Dr. Dietmar Bartsch (mit Amira Mohamed Ali Co-Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag),
Bärbel Bas (Bundestagsabgeordnete für die SPD),
Christoph Bautz (Politikwissenschaftler, Biologe und Aktivist),
Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD Bundestagsabgeordneter, Vorstand der Denkfabrik SPD),
Yasmin Fahimi (direktgewählte Bundestagsabgeordnete für die SPD),
Julia Fritzsche (Autorin und Journalistin),
Ansgar Gilster (Historiker und Vorstand bei Equal Rights Beyond Borders),
Dr. Isabella Hermann (promovierte Politikwissenschaftlerin),
Prof. Dr. Lisa Herzog (Philosophin, Sozialwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Groningen),
Katrine Hoop (Kriminologin, aktives Mitglied der LINKEN),
Elisabeth Kaiser (Bundestagsabgeordnete für die SPD),
Sven-Christian Kindler (Bundestagsabgeordneter für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN),
Jan Korte (ehem. Mitglied bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, Mitglied des Vorstandes der Rosa-Luxemburg-Stiftung),
Prof. Dr. Regina Kreide (Politikwissenschaftlerin),
Stefan Liebich (Bundestagsabgeordneter für DIE LINKE),
Uwe Meinhardt (Diplom-Politologe und Gewerkschafter),
Dr. Matthias Miersch (Jurist, Umweltpolitiker, Bundestagsabgeordneter für die SPD),
Rolf Mützenich (Bundestagsabgeordneter für die SPD, Vorsitzender des Kuratoriums für Gesellschaftsforschung am Max-Planck-Institut in Köln),
Dr. Maximilian Oehl (Völkerrechtler und Co-Initiator von „Brand New Bundestag“),
Lisa Paus (Bundestagsabgeordnete für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN),
Florian Pronold (Bundestagsabgeordneter für die SPD),
Dr. Sven Rahner (Autor, promovierter Politikwissenschaftler),
Sarah Ryglewski (Diplom-Politologin, Bundestagsabgeordnete für die SPD, Mitglied im Vorstand der Denkfabrik SPD),
Jamila Schäfer (stellvertretende Vorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN),
Sibel Schick (Autorin),
Annton Beate Schmidt (Film- und TV Cutterin, Autorin),
Michael Schrodi (Bundestagsabgeordneter für die SPD, Mitglied des Vorstandes der Denkfabrik SPD),
Frank Schwabe (Mitglied des Vorstandes der Denkfabrik SPD, Bundestagsabgeordneter für die SPD),
Amed Sherwan (Blogger und Aktivist),
Jakob Springfeld (Schüler, Aktivist für Fridays for Future, Mitglied der Grünen Jugend),
Sophie Sumburane (politisch aktive Kulturredakteurin und Autorin),
Christoph Twickel (Journalist und Buchautor),
Thomas Willms (Bundesgeschäftsführer des VVN-BdA, Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“),
Nicole Wloka (Geschäftsführerin der Denkfabrik SPD, langjähriges Mitglied des rot-rot-grünen Gesprächskreises auf Bundesebene),
Thomas Würdinger (Politikwissenschaftler und Gewerkschafter)