Ur-Faschismus und Querdenkertum
Die Querdenker·innenbewegung radikalisiert sich zunehmens. Dass eine Abgrenzung zum Rechtsextremismus kaum stattfindet, sollte angesichts des urfaschistischen Potentials der Bewegung nicht verwundern.
Im Jahr 2020 veröffentlichte der Carl Hanser Verlag eine kurze Textsammlung des italienischen Semiotikers und Autors Umberto Eco unter dem Titel Der ewige Faschismus. Unter den Texten befindet sich der titelgebende Vortrag, den der Italiener 1995 zum 50. Jahrestag der Befreiung seines Heimatlandes vom Faschismus hielt. Als Essay wurde der Text schließlich im New York Review of Books veröffentlicht.
An Aktualität hat «Der ewige Faschismus» nichts eingebüßt. Dies fällt besonders auf, wenn man einige der 14 Merkmale, sogenannte Ur-Faschismen, mit der Querdenker·innenbewegung abgleicht. «Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen», warnt Eco und beschreibt, wie sich der Faschismus über die Ur-Faschismen entwickeln und definieren kann.
Widersprüchliche Bewegung
Mit Blick auf die Querdenker·innenbewegung sticht ihre Heterogenität ins Auge. Sie ist nicht per se faschistisch. Die fehlende Abgrenzung zu rechtsextremen Gruppierungen, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, und die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Falschinformationen zeigen jedoch eine Akzeptanz und Anfälligkeit gegenüber der faschistischen Ideologie.
Gemein haben die Querdenker·innen ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Politik, Medien und Wissenschaft. Ihr Verhältnis dazu ist widersprüchlich: Das misstrauisch beäugte politische System der BRD wird mit einer Partei wie dieBasis versucht zu unterlaufen, die sogenannten „gleichgeschalteten Medien“ hatten besonders zu Beginn der Pandemie vermehrt Interviews mit führenden Querdenker·innen geführt und die Wissenschaft wird nicht abgelehnt, es wird nur bei Expert•innen und Fakten gründlich selektiert, so dass das eigene Weltbild nicht angegriffen wird.
Einerseits fordern Querdenker·innen eine klare, unmissverständliche Haltung der Wissenschaft, beklagen gleichzeitig jedoch, dass keine «alternativen» oder «abweichenden» Meinungen im Diskurs zugelassen werden. «Für den Ur-Faschismus ist Dissens Verrat», schreibt Umberto Eco.
Während der Pandemie haben Wissenschaftler·innen ihre Einschätzungen und Prognosen laufend geändert, da mit der Zeit mehr Wissen über das Virus und auch die Impfungen gewonnen wurde. Die Argumentationen der Querdenker·innen sind im Wesen identisch geblieben. Es ist von Lüge und Verschwörungen die Rede. Lediglich rückten im Jahr 2021 die Impfungen mehr in den Vordergrund.
«Infolgedessen kann es keinen Fortschritt des Wissens geben. Die Wahrheit ist ein für alle Mal offenbart worden, und wir können nur fortfahren, ihre dunkle Botschaft zu interpretieren», so Eco. Dies hängt eng damit zusammen, dass die Querdenker·innen einem veralteten mechanistischen Weltbild anhängen, in dem es keine Zufälle geben kann. Die Eliten sind miteinander verstrickt und alles was passiert, ist von irgendjemanden gewollt und bewusst herbeigeführt worden. Daher ist eine Anpassung des Narratives auch nicht notwendig.
Die Übergänge zum Populismus sind fließend. Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser definieren ihn als eine «dünne Ideologie», die sich anderer Ideologien bedienen muss und so äußerst flexibel ist. Alle Formen des Populismus bedienen sich der Einteilung in ein «reines Volk» und eine «korrupte Elite». Das populistische Politikverständnis basiert somit auf dem «Volkswillen».
Anhand dieser Populismusdefinition zeigt sich die Gefährlichkeit der Querdenker·innebewegung: Die Vermischung von Verschwörungen und einer populistischen Politikauffassung ist eine regelrechte Einladung für die Etablierung faschistischer Elemente. «Wann immer ein Politiker die Legitimität des Parlaments in Zweifel zieht, weil es nicht mehr die ‘Stimme des Volkes’ repräsentiere, riecht es nach Ur-Faschismus», merkt Eco dazu an.
Fragwürdiges Demokratieverständnis
Die Querdenker·innen bezeichnen sich selbst als die eigentlichen Demokrat·innen. Die Wochenzeitung «Demokratischer Widerstand» trägt das Wort sogar im Namen. Dies hängt mit der zuvor erwähnten Politikauffassung zusammen, die aktuelle Politik würde nicht den «Volkswillen» umsetzen und somit nicht demokratisch handeln. Die Querdenker·innen sehen sich als Ausdruck eben jenes «Volkswillen» und somit als eine demokratische Bewegung.
Dazu sind zwei Anmerkungen nötig: Zum einen ist die Frage nach Demokratie eine Definitionsfrage. Mussolini sprach vom Faschismus zwar als eine «reinere Form der Demokratie», die seiner Auffassung nach «qualitativ» zu sein hatte – per Definition ist der Faschismus jedoch gegen jeglichen politischen Liberalismus und Pluralismus. Schon alleine aus diesem Grund ist die Behauptung seitens der Querdenker·innen, dass der deutsche Staat „faschistoid“ sei, faktisch falsch.
Sprache ist jedoch eine wichtige Waffe im politischen Diskurs. Es geht den Querdenker·innen nicht darum empirisch nachzuweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland «faschistisch» sei.
Die bewusste Verwendung einer nationalsozialistisch geprägten Sprache in Bezug auf den politischen Gegner, mit Begriffen wie «Gleichschaltung», «Notstandsgesetze» oder «Faschismus» und gleichzeitigem Selbstbezug auf Opfer des Nationalsozialismus (Anne Frank) oder Gegner·innen des Nationalsozialismus (Fritz Bauer oder Hannah Arendt) dient der größtmöglichen Diffamierung der Bundesrepublik Deutschland und des politischen Systems, sowie der moralischen Selbstaufwertung.
Dabei wird auch auf Holocaustrelativierungen und antisemitische Täter-Opfer-Umkehr, wie etwa in Form des gelben Sterns und Sätzen wie «Impfen macht frei», zurückgegriffen. Die Rhetorik ist pathetisch, verharmlost den Nationalsozialismus und verhöhnt seine Opfer. «Mussolini hatte überhaupt keine Philosophie, er hatte nur eine Rhetorik», stellte Eco fest. Außerdem verwende der Faschismus ein «verarmtes Vokabular» und «versimpelte Syntax», die das kritische Denken unmöglich mache.
Und zum anderen spielt die Wahrnehmung eine große Rolle. Man erinnere sich an die Demonstration in Berlin am 01. August 2020. Während Medien und Polizei von rund 20 000 Teilnehmer·innen sprachen, verkündete der „Demokratische Widerstand“ eine Teilnehmerzahl von 1,3 Millionen Menschen. Fruchtbar sind Falschinformationen aufgrund der Selektivität des sogenannten Gegenwissens. Misstrauen in Medien und Institutionen tun ihr Übriges, um dieses zu etablieren.
Das gekränkte Subjekt
Wie kann es jedoch sein, dass ein Teil der Gesellschaft sich der Querdenker·innenbewegung anschließt oder mit ihnen sympathisiert? Die Soziolog·innen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey erklären dies mit der paradoxen Situation, in der sich das Individuum in der Spätmoderne befindet: Noch nie war das Individuum so frei, bei gleichzeitig bestehenden Abhängigkeiten in Form von Bildung, Arbeit und Konsum, sowie «maximalen Partizipationsansprüchen».
Während der Pandemie wurde dem Individuum bewusst, dass es keine Kontrollmöglichkeit des Abhängigkeitsverhältnisses besitzt. Dies betreffe die Mittelschicht deutlich mehr, da die unteren Schichten mit der staatlichen Abhängigkeit in Form von beispielsweise Hartz IV bereits konfrontiert waren.
Dass eine «individuelle» oder «gesellschaftliche Frustration» der Mittelschicht dem Faschismus entgegenkommt, begründet Umberto Eco historisch. Sie litten unter einer «ökonomischen Krise und/oder politischen Demütigung» und fürchteten sich vor dem «Druck subalterner gesellschaftlichen Gruppen». Auch heute werde der Faschismus seine Befürworter·innen in dieser Gruppe finden.
Mit Blick auf das Individuum in der Spätmoderne halten Amlinger und Nachtwey fest, dass es sich um ein «gekränktes Subjekt» handelt. Beim Auftreten komplexer Themen wird das Individuum mit seinem Nicht-Wissen konfrontiert und das Vertrauen auf Fachwissen von Expert·innen würde nur eine weitere Abhängigkeit bedeuten.
Daher reagiert es mit einer grundlegenden Kritik auf Politik und Wissenschaft und wird dadurch anfälliger für Verschwörungstheorien, die einem die Selbstwahrnehmung bestätigen. Gleichzeitig wertet man sich selbst zu einer wissenschaftlichen Autorität auf, die anhand selektiver Fakten und persönlichen Erfahrungen argumentiert.
Das Narrativ der Verschwörungen kommt dem «gekränkten Subjekt» entgegen und scheint die Welt zu erklären. Die «Obsession einer Verschwörung» beschreibt Eco als die «Wurzel der urfaschistischen Psychologie», die stark mit Antisemitismus verbunden ist. Die Verschwörungen sind meist international und daher eigenen sich die Jüdinnen und Juden besonders als Hassobjekt der Faschist•innen, da sie sowohl innen als auch außen zu finden sind.
Dass Antisemitismus eine große Rolle innerhalb der Querdenker·innenbewegung spielt, ist offensichtlich. «Mit Blick auf die Entwicklung der Demonstrationen zeigt sich sehr deutlich, dass der Verschwörungsglaube kontinuierlich das integrierende Element der Versammlungen darstellte, der Antisemitismus aber entscheidend mit ihrer Radikalisierung korreliert», schreibt etwa der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn. Neben den klassischen antisemitischen Mythen zu Impfung und Weltverschwörung finde eine Täter-Opfer-Umkehr statt: Die Ungeimpften seien die Juden von heute.
Es ergibt sich somit folgende Dynamik innerhalb der Querdenker·innenbewegung: Das Misstrauen gegenüber Politik, Medien und Wissenschaft machen sie offen für Verschwörungstheorien, die wiederum das Eindringen von faschistischen Elementen erleichtert und so das Misstrauen gegen die «Eliten» verschärft. Eine fehlende Abgrenzung zu antidemokratischen und rechtsextremen Gruppen tut ihr übriges; die Grenzen verschwimmen immer mehr. Die Querdenker·innen haben die unschuldigen Gewänder bereits abgelegt.