„Teuflische Allmacht“ – exportierter Antisemitismus
Christlicher Antisemitismus wird in den heutigen Diskursen kaum debattiert – ein großer Fehler findet Tilman Tarach.
Bei religiösem Antisemitismus denken wir so automatisch an den Islam, dass die Rechten dieses Feindbild auf einfachste Weise für sich nutzen können, um ihren eigenen Antisemitismus zu überdecken. Tatsächlich aber sind bei Weitem nicht nur Moslems durch ihre religiösen Hintergründe antisemitisch geprägt, doch hier scheint es in Aufarbeitung und Aufklärung einen weißen Fleck zu geben. Der Autor Tilman Tarach trägt in seinem Buch „Teuflische Allmacht“ all die Dinge zusammen, die gerne unter den Teppich gekehrt werden, wenn es um den Antisemitismus in den westlichen – also in größtenteils christlich geprägten – Ländern geht.
Die (unbeliebten) Fakten
Schon das Bild auf dem Cover lässt einen schlucken. Darauf ist ein Schild zu sehen, das 1935 am Ortseingang der bayerischen Gemeinde Eschenbach stand und auf dem zu lesen ist:“Der Vater der Juden ist der Teufel. Jesus Christus.“ (Foto stammt aus dem Stadtarchiv Nürnberg). Es suggeriert, Jesus selbst hätte diese Worte gesagt – kein Wunder also, dass gläubige Christen daraus alles andere als christliche Nächstenliebe für jüdische Menschen entwickelten. Aber natürlich existierte das Christentum bereits lange vor dem Nationalsozialismus und ebenso lange existiert auch der christliche Antisemitismus.
Tarach redet nicht lange um den heißen Brei herum, er steigt gleich im ersten Kapitel ein in das Verhältnis der Nationalsozialisten zum christlichen Glaubenund beginnt am Beispiel Julius Streichers, Gründer, Eigentümer und Herausgeber von „Der Stürmer“, seine akribische Analyse. Streicher erzählte einst, wie sich sein persönlicher Antisemitismus aus dem christlichen Glauben, aus dem Religionsunterricht, entwickelte. Dieser Werdegang findet sich in den Biografien vieler hochrangiger Nationalsozialisten wieder und man kann daraus nur schließen, dass es in der Bevölkerung nicht anders gewesen sein wird.
Adolf Hitler selbst bezog sich bereits in „Mein Kampf“ auf die Bibel. Er hat den christlichen Glauben nicht einfach nur für sich instrumentalisiert, er hat seine Gesinnung und seine daraus folgenden Taten aus ihm gezogen und als richtig, als gottgewollt angesehen. Um das zu belegen, zitiert und analysiert der Autor immer wieder Reden Adolf Hitlers, Passagen aus „Mein Kampf“ und dem Parteiprogramm der NSDAP.
An vielen Stellen knüpft T. Tarach die Verbindung zu heutigen Verschwörungstheorien, die beispielsweise während der Covid19 Pandemie bei den Querdenkern fanatisch gepredigt wurden – völlig egal, wie realitätsfern sie damals wie heute klingen mögen. Mit der Analyse des Antisemitismus in unterschiedlichen Zeiten und Phasen zeigt er vor diesem Hintergrund, dass diese Ideologie ebenso wandelbar ist, wie jede andere.
Tilman Tarach wirft außerdem einen Blick auf den Islam und stellt heraus, dass der Koran stark von den Evangelien beeinflusst ist, der Antisemitismus also mehr oder weniger „abgeschrieben“ wurde und Moslems im nahen Osten heute Motive des christlichen Antisemitismus genauso für sich benutzen, wie die Rechten hierzulande den Antisemitismus der Moslems für sich.
Zu guter Letzt betrachtet der Autor die Ideologie des Christentums, die Unterdrückung und Sklaverei rechtfertigend als Strafe oder gar als Prüfung Gottes vermarkten will.
Zwischen Fortschritt und Backlash
Ich selbst bin weder gläubig noch wurde ich christlich erzogen, trotzdem besuchte ich in der Grundschule den Religionsunterricht und bin daher sicher auch nicht völlig ungeprägt von dem in Bayern vorherrschenden Katholizismus. Da es für mich aber über den liebevoll und in Watte gepackten Unterricht der Grundschule nie hinausging, ließ mich dieses Buch zunächst wirklich geschockt zurück. Bekannt war mir natürlich, dass es, verbunden mit dem Motiv des Christusmordes, einen im Christentum verankerten Antisemitismus gibt, aber die dadurch entstandene gesellschaftliche und politische Prägung war mir in diesem Ausmaß tatsächlich nicht bewusst.
Vielleicht auch deshalb, weil ich dachte, wir wären uns mittlerweile zumindest halbwegs einig darin, dass das alles eine ganz nette Philosophie sein kann, die Bibel vielleicht einige Geschichten liefert, die für Menschen einen moralischen Kompass oder einen Mutmacher in schwierigen Zeiten darstellen können, aber dass man nichts davon für bare Münze nehmen sollte. Außerdem sehen wir, die in christlichen geprägten, westlichen Ländern leben, das Ganze ja auch immer nur von innen. Es ist Alltag. Es ist Tradition. Zu oft wissen wir gar nicht, was die Bräuche, die wir so selbstverständlich immer wieder wiederholen, eigentlich für grausame Hintergründe haben. Der Blick von Außen und die damit verbundenen Selbstreflexion wurde den Menschen hier bisher nicht oder nur schwer ermöglicht.
Tilman Tarach schafft mit seinem Werk einen für alle gut lesbaren und dennoch keineswegs oberflächlichen Überblick, auf dessen Grundlage man dank der konsequenten Quellenangaben sehr gut weiter recherchieren kann, wenn man das möchte. Man muss aber nicht. Der Autor bringt alles Wichtige auf den Punkt, arbeitet sich dabei nicht nur an der chronologischen Entwicklung entlang, sondern zeigt vor allem deutlich den ideologischen roten Faden auf, der sich bis heute durchzieht. Zwischendurch findet Tarach immer wieder klare, spritzige Worte für das Geschehen, was den gesamten Text auflockert und die Leser•innen trotz der schweren Kost bei (Lese-)Laune hält.
Zeit für das letzte Amen in der Kirche
Wir alle werden genauer hinschauen müssen. Wo zum Beispiel Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker ihre Ideologie auf dem christlichen Glauben begründen. Wo fundamentale Christen Nächstenliebe auf der einen und Völkermord auf der anderen Seite predigen. Wo noch heute Straßen, Plätze oder Einrichtungen die Namen bekannter kirchlicher Antisemiten tragen. Wo die christliche Prägung den Antisemitismus in uns selbst gesät hat und wie wir ihn bestenfalls im Keim ersticken können. Und bevor wir wieder einmal mit dem Finger auf andere zeigen, sollten wir hinterfragen, inwieweit „wir“ mitverantwortlich sind für das, was wir am anderen so scharf kritisieren.
Zwar gebe ich Tilman Tarachs Schlusswort, um den Antisemitismus nachhaltig zu bekämpfen bräuchte es vor allem die Emanzipation des Individuums vom Kollektiv, nicht uneingeschränkt recht, denn wir leben nun mal in einer Gesellschaft, also immer auch irgendwie im Kollektiv und was eine Verachtung dessen zur Folge hat, zeigt uns der Neoliberalismus zu genüge. Wenn man aber das Wörtchen „religiös“ ergänzt und damit von einem religiösen Kollektiv spricht, dann stimme ich dem voll und ganz zu.
Der Verlag hat freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Teuflische Allmacht
Tilman Tarach
Edition Telok, 224 Seiten
14,80 Euro