„Oben Ohne“ – Julia Fritzsche über den Kampf um eine gleiche Brust für alle
Wenn es um die nackte Brust geht, sind Männer und Frauen nicht gleich. Oben ohne ist nur für Männer akzeptiert. Warum das ein Problem ist, erklärt Julia Fritzsche in ihrem neuen Buch.
Als ich zum ersten Mal von Julia Fritzsches neuem Buch hörte, dachte ich zuerst: „Okay, wichtiges Thema, aber betrifft mich nicht persönlich, denn ich will ja gar nicht oben ohne irgendwo sein, weil… ja warum eigentlich nicht?”
Klar, weil beim Baden ein überall einschneidendes Bikinioberteil viel besser ist. Oder ein Badeanzug, der klatschnass und eiskalt am ganzen Körper klebt. Blödsinn. Natürlich wäre es „oben ohne“ viel angenehmer. Ich weiß das, denn ich lag auch schon mal oben ohne im nach dem Motto „wo kein Kläger, da kein Richter“ akzeptierten FKK-Bereich am See und während ich diesen Satz schreibe, denke ich darüber nach, welche negativen Auswirkungen das für mich haben könnte, das hier so öffentlich zu sagen. Und schon sind wir mittendrin in der Debatte, denn ein Mann würde sich solche Gedanken noch nicht mal ansatzweise machen (müssen).
„Gibt es gerade nicht Wichtigeres?!“
Natürlich geht es nicht „nur“ darum, ob man oben ohne irgendwo sein WILL oder nicht. Es geht darum, ob man es DARF. Und als Frau darf man es eben in der Regel nicht. Aber ist #freethenipple in Zeiten von Vielfachkrisen und Kriegen überhaupt relevant? Relevant genug, um ein ganzes Buch zu füllen? Auf diese Frage geht die Autorin (deren Buch übrigens nicht das einzige ist, das sich in jüngster Zeit dem Thema Brüste widmet) gleich zu Beginn ihrer Ausführungen ein und an dieser Stelle erlaube ich mir, zu spoilern: Ja, dieses Thema ist auch – oder vielleicht sogar gerade – in Zeiten wie diesen relevant und wichtig. Denn wie so oft liegen auch dem männlichen Privileg, fast immer und überall ohne Shirt auftauchen zu können, Machtstrukturen und Ungerechtigkeiten zugrunde – Dinge, die vor allem rechte Narrative bedienen und um jeden Preis eine strikte, binäre Ordnung aufrechterhalten wollen.
Julia Fritzsche berichtet in „Oben Ohne“ nicht nur von ihrem mutigen Selbstversuch, in einem Münchner Freibad topless zu schwimmen, sondern sie hat auch Gabrielle Lebreton, die eines Berliner Wasser-Spielplatzes verwiesen wurde, weil sie sich dort ohne Oberteil aufhielt, bei deren Gerichtsprozess gegen das Land Berlin wegen (geschlechtsspezifischer) Diskriminierung, begleitet. Denn eines der größten Probleme in dieser Hinsicht ist die rechtliche Unsicherheit, die ein klares Gerichtsurteil beenden könnte.
Einen Blick in die Geschichtsbücher…
…wagt die Autorin bei Suche nach einer Antwort auf die Frage, wann es zu dieser ungleichen Behandlung von Brüsten kam, seit wann ein weiblicher Körper in manchen (Bekleidungs-)Situationen ein als obszön wahrgenommenes Ärgernis darstellt, während ein männlicher Körper in derselben (Bekleidungs-)Situation total in Ordnung ist.
Ich persönlich finde diesen Teil besonders interessant, weil er zum einen Denkweisen reflektiert und zum anderen aufzeigt, dass der Umgang mit nackten Brüsten hier und heute nicht etwa seit Anbeginn so in Stein gemeißelt ist und auch keine universelle Norm darstellt. Durch diese facettenreiche Betrachtung wird einem als Leser*in zwar leider bewusst, dass wir in dieser Thematik schon einmal weiter waren und wir hier, wie auch an vielen anderen Stellen seit Jahrzehnten einen schleichenden Backlash erleben, aber gleichzeitig finden sich hier haufenweise spannende Fakten, aus denen sich für eine Debatte über eine gleiche Brust für alle wunderbare Argumente ergeben.
Was wir tun können (außer uns ausziehen)
Im letzten Kapitel fasst die Autorin Anregungen und Impulse zusammen, wie wir in Zukunft mit dieser Ungerechtigkeit umgehen könnten und wie wir alle (ja, auch die Männer!) einen Beitrag dazu leisten können, die bestehende Hierarchie bei der Frage „Was zieh` ich an – und was aus?“ aufzulösen. Auch für ein besseres, solidarischeres Miteinander innerhalb der aktuell noch herrschenden Regeln hat Julia Fritzsche eine Reihe Ideen und Tipps zusammengetragen, auf die wir alle bis zum erklärten Ziel der befreiten Nippel zurückgreifen können.
Auch, wenn ich über dieses Thema in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal nachgedacht habe, war dieses Buch nochmal ein eye-opener in eine ganz andere Richtung und hat meinen Blick auf etwas, das ich lange Zeit für zwar diskutabel aber letztlich doch banal erachtet hatte, in eine andere Richtung gelenkt. Man wird nach diesem Buch definitiv einen anderen Blick auf Männer haben, die oben ohne auf der Baustelle arbeiten, durch die Stadt laufen oder im Supermarkt an der Kasse stehen.
Julia Fritzsche geht neben der sachlichen Ebene mit einer gesunden Portion Humor (und auch mit ein klein bisschen Sarkasmus) an das Thema heran und schafft es dadurch, auf diesem stellenweise leider noch sehr schambehafteten Gebiet Zugang zu ihren Leser·innen zu finden und der Debatte über die gleiche Brust für alle den notwendigen neuen Schwung mitzugeben.
Der Verlag hat mir netterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Oben Ohne
Julia Fritzsche
Edition Nautilus, 211 Seiten
18,00 Euro