„Frau, Leben, Freiheit“ – der mutige Kampf der Frauen im Iran
Der Dokumentarfilm „Sieben Winter in Teheran“ erzählt die Geschichte von Reyhaneh Jabari, die 2014 im Iran hingerichtet wurde.
Lange habe ich überlegt, wie ich diesen Artikel anfangen soll. Wie ich diesem Thema, wie ich diesen mutigen Frauen, um die es hier gleich gehen wird, gerecht werden kann. Haben nicht schon alle über sie geschrieben, berichtet und gepostet? Muss ich, obwohl ich wahrscheinlich nichts zu sagen habe, was nicht schon gesagt wurde, unbedingt auch noch meine Meinung dazu veröffentlichen – für ein Quäntchen Aufmerksamkeit?
Ja, ich muss. Denn genau darum geht es: Um Aufmerksamkeit.
Nicht für mich, sondern für eben diese Frauen. Über sie und ihren ungebrochenen Widerstand kann gar nicht oft genug geschrieben, gelesen und gesprochen werden.
„Sieben Winter in Teheran“ – Reyhaneh Jabbaris Geschichte
Einer der bekanntesten Fälle ist wohl der von Reyhaneh Jabbari. Auf ihren Prozess blickten große Teile der internationalen Öffentlichkeit und weltweit gab es Demonstrationen für ihre Freilassung. Die Filmemacherin Steffi Niederzoll hat Gespräche mit Reyhanehs Eltern und Schwestern, Reyhanehs Briefe aus dem Gefängnis, und unter großer Gefahr vor Ort gefilmtes Bildmaterial zu einer aufwühlenden Reportage zusammengefügt, die Reyhanehs Geschichte erzählt.
Es ist die Geschichte einer toughen jungen Frau, die mit Begeisterung studiert und ambitionierte Zukunftspläne hat. Im Vergleich zu vielen anderen jungen Frauen in ihrem Land hat sie Glück – ihre Eltern sind liberal und weltoffen, unterstützen ihre Töchter dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Reyhanehs Vater erklärt im Film: “Für mich war immer klar: Sollte ich einmal Töchter bekommen, werden sie die selben Rechte haben, wie Söhne sie hätten.“
An dem Tag, der alles verändert, sitzt Reyhaneh Jabbari in einem Café und telefoniert mit einem ihrer ersten Auftraggeber. Sie ist motiviert und voller Tatendrang. Ein Mann am Nachbartisch wird auf dieses Gespräch aufmerksam, geht im Anschluss auf Reyhaneh zu und gibt sich als potentieller Kunde. Er sei Arzt und wolle seine Praxis neu gestalten, Reyhaneh solle am besten gleich mit ihm kommen, um seine Räumlichkeiten zu begutachten.
Die Aussicht auf einen weitere Möglichkeit, ihr Können zu zeigen, lässt alle Skepsis in den Hintergrund treten und R. Jabbari folgt dem Mann in seine vermeintliche Praxis. Dort geht alles sehr schnell. Die angebliche Praxis entpuppt sich als Wohnung, die Absichten des Mannes als alles andere als geschäftlich. In Notwehr rammt Reyhaneh ihm schließlich ein Messer in den Rücken und flüchtet aus der Wohnung. Auch wenn ihr damit eine Vergewaltigung erspart bleibt, beginnt damit ein langer Leidensweg für Reyhaneh Jabbari und ihre Familie.
Der Mann, der sich später als Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes herausstellen wird, verstirbt an seiner Verletzung und die damals erst 19-jährige Reyhaneh wird wenig später wegen Mordverdacht verhaftet. Sieben lange Jahre wird ihre Haft andauern und sie wird das Gefängnis nie mehr lebend verlassen.
Am Tag der Hinrichtung versammelt sich Reyhanehs Familie und einige Mitstreiter vor dem Gefängnis. Bis zur letzten Sekunde hofft ihre Mutter darauf, dass der Sohn des getöteten Mannes sich entschließt, ihre Tochter zu begnadigen, denn nur er hätte die Möglichkeit dazu. Im Kino starren die Zuschauer·innen wie gebannt auf die Leinwand und bangen mit ihr, obwohl alle längst wissen, was passieren wird. Das betroffene Schweigen, das während des ganzen Films in der Kinobar des Monopol Kinos in München, der mehr ein gemütliches Wohnzimmer ist als ein Kinosaal, herrschte, wird nun gebrochen durch gemeinsames Schniefen. Niemand kann die Tränen ganz zurück halten, als die Kamera den Moment festhält, in dem Reyhanehs Mutter Shole Pakravan vom Tod ihrer Tochter erfährt.
Reyhaneh ist lieber gestorben, als der Blutrache zu entgehen, indem sie den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung zurückzieht und sich damit selbst als Lügnerin denunziert. “Diese Haltung steht für die neue, junge Generation im Iran, die, ganz anders als noch meine Generation, gelernt hat, dass sie das Recht hat, sich zu wehren und nein zu sagen.“, so Shole Pakravan im Interview mit Ann-Kathrin Mittelstraß im Zündfunk (Bayern 2).
Auch, wenn man Reyhaneh Jabbaris Geschichte und vor allem deren Ausgang bereits kennt, lohnt es sich, den Film anzuschauen – wenn man seinen Inhalt aushält. Die Reportage eröffnet den Zuschauer·innen Einblicke, die man sonst nur schwer bekommt. All die von Steffi Niederzoll sorgsam zusammengetragenen Puzzleteile lassen einen zumindest in Ansätzen begreifen, wie die Situation der Frauen im Iran und den dortigen Gefängnissen aussieht. Denn Reyhaneh ist leider alles andere als ein Einzelfall.
Steffi Niederzoll im Interview mit Ann-Kathrin Mittelstraß im Zündfunk (Bayern 2):„Ich weiß nicht, ob der Film politisch etwas bewirkt, aber er bewirkt etwas in den Herzen der Menschen. Er empowert Frauen, ihre Vergewaltigungen anzuzeigen, darüber zu sprechen, ihre Geschichten zu erzählen.“
Reyhaneh Jabbari träumt in einem ihrer Briefe aus dem Gefängnis von einer besseren Zukunft für alle Frauen und Mädchen: „Ich wünsche mir, dass eines Tages kein Mädchen mehr vergewaltigt wird. Ich wünsche mir, dass eines Tages keiner mehr seine Macht ausnutzt. Ich hoffe, meine Wünsche gehen in Erfüllung.“
Neuer, weiblicher Widerstand
Acht Jahre nach Reyhaneh Jabbaris Tod rückte erneut ein grausamer Fall ins internationale Rampenlicht. Jina Masha Armini starb am 16. September 2022 an den Folgen brutaler Schläge durch die Sittenpolizei, weil sie laut deren Angaben ihren Hijab nicht ordnungsgemäß trug. Ihr Tod löste im Iran die landesweit größte und am längsten andauernden Protestwelle seit 1979 aus. Die Proteste dauern bis heute an – das Regime reagiert mit Festnahmen, Hinrichtungen und Ausschluss und Einschüchterung der Presse.
Die Journalistinnen Nilufar Hamedi und Elaheh Mohammadi zum Beispiel berichteten im Iran als erste über den Tod Masha Arminis, kamen dafür selbst ins Gefängnis und erhielten mehrjährige Haftstrafen. Für das Regime heikle Nachrichten und Informationen erreichen nur schwer eine breite Öffentlichkeit. Dieser fehlenden Pressefreiheit mag es auch geschuldet sein, dass der mutmaßliche gewaltsame Übergriff der Sittenpolizei auf die 16jährige Armita Garawandnur sehr schleppend in die deutschen Medien fand. Die Journalistin Maryam Lotfi berichtete im Iran über den Vorfall und wurde dafür umgehend inhaftiert, kam glücklicherweise auf Kaution wieder frei. Armita Garawand viel nach dem Übergriff ins Koma und verstarb schließlich – weil sie kein Kopftuch trug.
Aus Protest tragen nach diesen Fällen immer mehr Frauen in der Öffentlichkeit keinen Hijab und riskieren damit ihre Karriere – wie kürzlich die Chirurgin Fatemeh Rajaei Rad, die einen ihr verliehenen Preis ohne Kopftuch in Empfang nahm und daraufhin ihre Zulassung verlor – oder schlimmer noch ihre Freiheit und ihr Leben.
Öffentlichkeit für die, die ungesehen bleiben
Am 06.10.2023 ging der Friedensnobelpreis an die Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi für ihren unermüdlichen Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran. N. Mohammadi wurde schon mehrfach inhaftiert, aktuell sitzt sie eine 10-jährige Haftstrafe ab, zu der sie verurteilt wurde, weil sie 2022 einen Bericht über Folter an Gefängnis Insassinnen veröffentlichte. Aus dem Gefängnis meldete sie sich kämpferisch zu Wort: “Ich sitze jeden Tag vor dem Fenster und starre ins Grüne und träume von einem freien Iran. Je mehr sie mich bestrafen, je mehr sie mir wegnehmen, desto entschlossener werde ich kämpfen, bis wir Demokratie und Freiheit und nichts weniger erreichen.“ (Quelle: New York Times).
Erst vor wenigen Tagen beendete sie einen zweitägigen Hungerstreik, mit dem sie durchgesetzt hatte, ohne ein Kopftuch tragen zu müssen in ein Krankenhaus transportiert zu werden. Das öffentliche Interesse an ihrer Person, das der Nobelpreis mit sich brachte, war an dieser Stelle sicher hilfreich. Aber diese Aufmerksamkeit ist nicht nur zu Narges Mohammadis eigenem Vorteil. Weltweit setzen sich Menschen durch diese Auszeichnung mit den Geschehnissen im Iran auseinander, solidarisieren sich mit den Frauen Iran und leihen denen ihre Stimme, die keine haben.
Denn all die Frauen, die ich hier namentlich genannt habe, deren Schicksale wir alle kennen, stehen stellvertretend für unzählige Frauen, die im Iran Ähnliches erlitten haben oder noch immer erleiden müssen, deren Namen wir nicht kennen und die ohne öffentliche Aufmerksamkeit ihre Freiheit oder ihr Leben verloren haben.
Im Jahr 2023 hat das Regime im Iran bereits mehrere hundert Menschen hingerichtet. Die Zahlen sind seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023 massiv gestiegen.