Faschismus – ein verwässerter Begriff zurück auf den Punkt gebracht
Der Begriff „Faschismus“ wird mittlerweile inflationär benutzt. Das ist gefährlich, denn es verharmlost die Gefährlichkeit des Faschismus.
„Faschismus gehört zu unserer Geschichte. Er ist eine permanente Bedrohung für die liberale Demokratie und für die soziale Demokratie, die beide im Geist der Aufklärung verwurzelt sind. Es ist ein ruhendes Phänomen: In Zeiten von Frieden und Wohlstand fühlt man seine Existenz nicht. Aber in schwierigen Zeiten wie jenen, die wir gerade erleben, gewinnen faschistische Ideen an Stärke und treten zutage. Faschismus befasste sich und befasst sich weiterhin mit einem realen Problem: Die Natur von sozialen Beziehungen“, so Zeev Sternhell 2016 in der TAZ.
In meiner Jugend hatte sich der Ausdruck „Turnschuh-Faschos“ etabliert, nur wenig später verschwand er jedoch wieder aus dem Sprachgebrauch. Inzwischen sind die Begriffe „Faschisten“, „Faschos“ usw. wieder an jeder Ecke zu hören und zu lesen. Ob für Querdenker•innen, Trump oder gar Antifaschist•innen – eigentlich für alles, was irgendjemandem nicht in den Kram passt, fällt mit immer weniger Hemmungen aber immer höherer Wahrscheinlichkeit früher oder später in irgendeiner Form die Bezeichnung „Faschisten“. Doch der immer inflationäre Gebrauch dieses Begriffes bagatellisiert nicht nur die tatsächliche Sache, sondern seine Verwendung ist auch schlicht und ergreifend häufiger falsch als korrekt.
In der aktuellen Weltsituation ist es natürlich Putin, der von vielen als Faschist betitelt und noch im selben Atemzug mit Hitler verglichen wird – aber war Adolf Hitler überhaupt ein Faschist?
Eine Einführung in die Einführung
Was ist Faschismus wirklich? Wie, wann und vor allem warum ist er entstanden und wodurch wurde diese Ideologie im Wandel der Zeit geprägt? Zeev Sternhell, der im deutschsprachigen Raum noch immer viel zu unbekannt ist, wirft in seinem Essay, welches erstmals 1976 als Kapitel von „Fascism. A Reader’s Guide. Analysis, Interpretations, Bibliography“ veröffentlicht wurde, einen umfassenden Blick auf genau diese Fragen.
Der israelische Politologe, der weltweit als „einer der bedeutendsten Kenner der faschistischen Bewegungen“ (vgl. Nachwort von Kristine Listau und Jörg Sundermeier) gilt, schreibt gleich zu Beginn, dass der Faschismus sich in seinen Anfängen sowohl „an die intellektuellen Eliten als auch an die unwissende Landbevölkerung wandte.“ – wer denkt hier nicht unvermittelt an eine gewisse Partei und ihre Wählerschaft; althergebrachte Mechanismen greifen also durchaus auch heute noch. Lange wurde dieser „universale Aspekt der faschistischen Lehre fast vollständig übersehen“.
Zeev Sternhells Analysen beginnen weit vor dem Auftritt des wohl bekanntesten Faschisten, Benito Mussolini. Die einzelnen Ideen der faschistischen Lehre entstanden schon lange vor dem Begriff Faschismus, der fehlende Name ändert jedoch nichts an der Gesinnung. So verortet der Politologe die ersten faschistischen Bewegungen in Frankreich und ein erstes Aufkeimen bereits um 1880/90. Dabei geht es zunächst allerdings nur um die Ideologie an sich, noch weit entfernt von der praktischen Umsetzung.
Einige der für die Gegenwart wohl erstaunlichsten Aspekte sind die umfangreichen Verknüpfungen zu Pseudowissenschaft, Spiritualität und die (falsch interpretierte) Verbundenheit mit der Natur. Kriegsverherrlichung, toxische Männlichkeit und Brutalität sind Ideale, den Feminismus und jede Art von Vielfalt galt es auch damals schon zu verhindern, denn „natürlich“ scheint nur der Einheitsbrei, den die nationalistische Denkweise erlaubt. In diesem anti-intellektuellen Kampf bekam der Faschismus rasch einen mystischen, beinahe religiösen Charakter, der die unterschiedlichsten Menschen anzog. Das eigene Scheitern erklärte der Faschismus sich stets mit Verschwörungstheorien.
Laut Sternhell sind die geistigen Ursprünge des Faschismus in sich selbst bereits verwirrend und so überrascht es nicht, dass man hier und da auf Widersprüche stößt. Völlig gegensätzlich zum irrationalen, gefühlsorientierten Teil der Lehre steht die Planung und die autoritäre Kontrolle, für die der Faschismus als Staatsform einstehen will.
Durch die vermeintliche Verbindung zwischen Sozialismus und Nationalismus kippten immer wieder auch extreme Linke in faschistische Bewegungen, in der praktischen Umsetzung ist und bleibt der Faschismus jedoch unbestreitbar Teil der Rechten. Da der Faschismus sich selbst als modern und progressiv versteht, hatte er bislang häufig dort Erfolg, wo ihm keine Linke entgegen stand.
Kam ein Führer einer faschistischen, also vermeintlich progressiven, Bewegung an die Macht, so beseitigte er umgehend die Anhänger•innen dieser Bewegung, machte diese mundtot – denn in Wahrheit waren die faschistischen Führer reaktionär und keineswegs an modernen Veränderungen interessiert. Wohl aber an der Errichtung eines totalitären Staates.
Dies alles und noch viel mehr analysiert und beleuchtet der Autor, auch anhand der schon damals vorhandenen Literatur zum Thema, welche die Leserschaft sowohl in den Fußnoten als auch zum Abschluss des Textes auf ganzen sechs Seiten, sowohl ausgewählt vom Autoren selbst als auch vom Übersetzer Volkmar Wölk ergänzt, aufgelistet vorfindet.
Im Nachwort erhält man einen Überblick über den interessanten und bewegenden Lebenslauf und Werdegang Sternhells, der Mutter und Schwester im Holocaustverlor, welchen er selbst nur mit großem Glück überlebte.
Kollektive Pflichtlektüre!
Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, faschistische Bewegungen zu erkennen, sie aufzudecken und die Finger davon zu lassen. Dabei ist dieses wunderbare „Büchlein“ eine optimale Unterstützung.
Zeev Sternhell gibt seine ausführlichen Recherchen nicht nur übersichtlich wieder, sondern findet auch einen knackigen Ton, diese zusammenzuführen und den Leser•innen zu erschließen. So entstand ein kurzer, prägnanter Text mit schlüssigen Analysen, dessen gute Lesbarkeit den Leser•innen einen verständlichen Zugang zum Thema eröffnet.
Welche der Personen oder Bewegungen aus der obigen Aufzählung nun also zurecht als Faschisten/faschistisch bezeichnet werden, kann am Ende jede•r Leser•in selbst einordnen. Dass das Ergebnis an der ein oder anderen Stelle durchaus überraschend ausfallen kann, zeigt einmal mehr, wie entscheidend es ist, genau hinzuschauen.
Doch viel wichtiger als über andere urteilen zu können ist es, vor allem die eigenen Ansichten und Denkweisen immer kritisch und reflektiert im Auge zu behalten. Auch wenn die Forschung zum Thema Faschismus heute natürlich schon wieder ein Stückchen weiter ist als 1976, so hat der Inhalt dieser Ausführungen dennoch nichts an Gültigkeit eingebüßt und bleibt eine valide, grundlegende Einführung in die Thematik. „Und eine solche Einführung in die Funktionsweisen der faschistischen Ideologie wird dringend benötigt, von allen Teilen der Gesellschaft. Gerade jetzt.“, so Kristine Listau und Jörg Sundermeier, Leitungsteam des Verbrecher Verlags, im Nachwort – und dem kann ich mich nur anschließen.
Wem eine politikwissenschaftliche Abhandlung zu trocken ist, dem möchte ich gerne ein satirisches Werk zum Thema ans Herz legen, welches auf humorvolle aber schonungslose Weise die Mechanismen, Funktionsweisen und Abgründe des Faschismus im hier und jetzt. Leser•innen von „Faschist werden – Eine Anleitung“können am Ende des Buches im „Faschistometer“ selbst überprüfen, ob sie auf einem guten Weg zum Faschisten sind.
Faschistische Ideologie – Eine Einführung
Zeev Sternhell
Verbrecher Verlag, 135 Seiten
15,00 Euro