"Er ist ein wirkliches Monster"
Der linke Politiker Íñigo Errejón wird beschuldigt mehrere Frauen sexuell belästigt und angegriffen zu haben. Damit stürzt er die spanische Linke in eine schwere moralische Krise.
Ein politisches Erdbeben hat Spanien erschüttert. Der linke Politiker und Abgeordnete Íñigo Errejón hat unerwartet seinen Rückzug aus der institutionellen Politik verkündigt. Sein Abschied, den er über den Kurznachrichtendienst X öffentlich machte, liest sich wie der eines ausgebrannten Politikers. "Ich bin an den Grenzen der Widersprüchlichkeiten zwischen der Person und der Persönlichkeit angekommen", heißt es in der Mitteilung. "Ich arbeite seit einiger Zeit an einem persönlichen Prozess, der psychologisch begleitet wird. Damit dieser aber weitergehen kann, muss ich die institutionelle Politik verlassen."
Ein Instagram-Post der linken Journalistin Cristina Fallarás rückt diese Zeilen jedoch in ein anderes Licht. Ein paar Tage vor Errejóns Ankündigung veröffentlichte sie Screenshots eines Chats, den sie mit einer anonymen Frau führte. Darin beschuldigte diese "einen bekannten Madrider Politiker" der sexuellen Belästigung. Man habe sie davor gewarnt, wie dieser Frauen behandle, doch aufgrund der pro-feministischen Haltung der Partei und des Politikers wollte sie diesen Warnungen keinen Glauben schenken. Doch bald habe er psychische Gewalt ausgeübt. Die Frau führte weiter aus: "Seine Art Sex zu haben, hinterlässt Spuren und wirst du nie vergessen. Es ist eine Form Macht auszuüben, es ist kein Sex. Als würde er mit deinem Körper masturbieren." Unter anderem heißt es in der Nachricht auch: “Er ist ein wirkliches Monster.”
Bald darauf äußerste sich die spanische Schauspielerin Elisa Mouliaá und berichtete von einem ähnlichen Fall. Eine sexuelle Aggression soll sich während einer Party im September 2021 zugetragen haben. Errejón habe Mouliaá gegen ihren Willen in einem Zimmer festgehalten, um mit ihr Sex zu haben. Sie sei in dem Moment wie paralysiert gewesen und fühlte sich vergewaltigt. Mouliaá habe die letzten Jahre nichts gesagt, auch weil sie Errejón bewundert habe.
Spitze des Eisbergs
Die Vorwürfe gegen Errejón haben es in sich und könnten nun weite Kreise ziehen. Besonders heikel ist, dass der Feminismus das gesellschaftspolitische Thema schlechthin der politischen Linken in Spanien ist. Viele Fragen werden laut, etwa wer davon in seiner Partei Más Madrid gewusst habe. In einer Stellungnahme, gibt die Partei zu, dass sie bereits vor einem Jahr von dem problematischen Verhalten Errejóns in Kenntnis gesetzt wurden. Eine Frau hatte auf X Errejón beschuldigt, ihr an den Po gefasst zu haben.
Daraufhin hat Más Madrid die feministische Sprecherin und Abgeordnete im Madrider Regionalparlament, Loreto Arenillas, beauftragt, die Situation zu regeln. Sie habe sich bei dem Opfer gemeldet, sich für das Geschehene entschuldigt und sich als Mediatorin vorgestellt, um die Situation zu lösen. Sie kritisierte jedoch indirekt, dass das Opfer den Weg über die Öffentlichkeit gesucht habe. Daraufhin löschte sie den Thread auf X.
Mittlerweile ist Arenillas ihren Sitz im Madrider Regionalparlament los, jedoch nicht weil sie freiwillig ging, sondern weil Más Madrid ihr den Sitz entzogen hat. Doch Arenillas ist vielleicht nur die Spitze des Eisbergs. Más Madrid und die nationale Liste Sumar, deren Sprecher und Posterboy Errejón bis vor wenigen Tagen war, haben nun eine ernste und weitgehende Aufklärungsarbeit vor sich. Es geht darum, die Beschuldigungen ernstzunehmen, aber gleichzeitig Schadensbegrenzung zu betreiben, wenn dies überhaupt möglich ist.
Wohlgemerkt handelt es sich bisher nur um Anschuldigungen, die nach und nach zur Anzeige gebracht werden. Bisher hat Errejón keiner Anschuldigung öffentlich widersprochen. Stattdessen spricht er von einer Sex- und Drogensucht, die er aktuell versuche therapieren zu lassen.
Es ist möglich, dass sich nun andere Frauen durch diese ersten Postings bestärkt fühlen, um weitere Fälle öffentlich zu machen. Es könnte der #metoo Moment der spanischen Politik werden, denn wenn eine prominente Figur wie Errejón fallen kann, dann können fast alle fallen.
Errejón, der Verräter
Íñigo Errejón ist eines der bekanntesten Gesichter der spanischen Linken. In seiner Jugend war er in anarchistischen Kreisen unterwegs, doch spätestens seit der Indignados Bewegung Anfang der 2010er Jahre wurde er spanienweit bekannt als Mitglied der Partei Podemos, von der er sich 2017 aufgrund ideologischer Differenzen trennte. Daraufhin baute er die regionale Partei Más Madrid zur nationalen Marke Más País auf, eine Art grün angestrichene linke Partei. 2023 stand Más País prominent hinter der Wahlliste Sumar, die versuchte sämtliche linken Parteien auf einer gemeinsamen Liste zu versammeln.
Im ideologischen und politischen Wettstreit mit seiner alten Partei Podemos konnte sich Errejón so erstmals durchsetzen. Er stand für einen pragmatischen Kurs, war in der Rhetorik weniger populistisch und auf eine Regierungsbeteiligung ausgerichtet. Dafür wurde er von Podemos als “Verräter” gebrandmarkt.
Der Fall Errejóns stürzt die spanische Linke weiter in eine große moralische und legitimatorische Krise. Nachdem bereits 2021 sein ehemaliger Freund und Mitstreiter Pablo Iglesias sich aus der institutionellen Politik verabschiedet hat, ist der Mythos des 15-M, also dem Höhepunkt der Indignados-Bewegung vom 15. Mai 2011, am Ende angekommen. Bis heute speiste dieser die politische Linke. Bei den vor kurzem stattgefundenen Demonstrationen gegen die unbezahlbaren Wohnungen richteten sich die Sprechchöre einer jüngeren Generation auch gegen Podemos, die dank dieses Mythos stets glaubte, die Hegemonie über die Straße zu verfügen. Tatsache ist, dass diese Zeiten längst vorbei sind.
Mit dem Rückzug Errejóns verlässt der letzte bekannte Kopf der Podemos Mitgründer·innen die institutionelle Politik. Im Gegensatz zu Iglesias jedoch auf äußerst unrühmliche Weise, die sehr viel Reflexion abverlangt. Es geht um Glaubwürdigkeit bei wichtigen gesellschaftlichen Themen. So schließt sich ein historisch-politischer Kreis und ein neuer könnte beginnen. Wie dieser jedoch aussehen und wer ihn gestalten könnte, ist mehr als unklar.